Nähert sich ein Fahrradfahrer einem Fußgänger, der mit dem Rücken zum Radweg steht, so muss er nicht damit rechnen, dass dieser den Radweg plötzlich betritt. Der Fußgänger hat daher keinen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld, wenn er bei einer Kollision mit dem Radler zu Schaden kommt. Das hat das Oberlandesgericht Saarbrücken mit Urteil vom 29. November 2011 entschieden (Az.: 4 U 3/11 – 2).
Die Klägerin stand mit ihrem Rücken am Rande eines Radwegs und unterhielt sich mit einer Bekannten. Plötzlich drehte sie sich um und machte einen Schritt auf den Radweg, um diesen zu überqueren.
Im gleichen Augenblick näherte sich ein junger Fahrradfahrer. Trotz einer Vollbremsung fuhr er die Klägerin an.
Zu schnell?
Wegen der erheblichen Verletzungen, die die Fußgängerin bei dem Unfall erlitten hatte, verklagte sie den Radfahrer auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 20.000 Euro. Sie verlangte außerdem den Ersatz sonstiger Schäden in Höhe von rund 16.000 Euro.
Ihre Forderungen begründete die Klägerin damit, dass der Fahrradfahrer zu schnell unterwegs gewesen war. Angesichts der Tatsache, dass sie unmittelbar neben dem Radweg stand, hätte der Radler damit rechnen müssen, dass sie den Weg überqueren wollte. Hätte er seine Geschwindigkeit der Situation entsprechend herabgesetzt, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.
Doch dieser Argumentation wollten die Richter des Saarbrücker Oberlandesgerichts nicht folgen. Sie wiesen die Klage als unbegründet zurück.
Nicht erkennbare Absicht
Nach Ansicht des Gerichts ist ein Fahrradfahrer ebenso wie andere Fahrzeugführer nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung zwar grundsätzlich dazu verpflichtet, seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke anhalten kann, wenn er sich einer voraussehbaren Gefahrenlage nähert.
Das setzt aber voraus, dass die Gefahrenlage tatsächlich erkennbar war oder „bei Anwendung der gebotenen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkannt werden können“, so das Gericht.
Allein die Tatsache, dass zwei Personen am Rand eines Radwegs stehen, verdeutlicht nach Ansicht der Richter nicht, dass sie beabsichtigen, den Fahrradweg zu überqueren. Das gilt erst recht, wenn sie dem Radweg wie in dem entschiedenen Fall den Rücken zugekehrt haben.
Verstoß gegen elementare Sorgfaltspflicht
Selbst wenn, was nicht erwiesen ist, unterstellt würde, dass der Fahrradfahrer zu schnell unterwegs war, tritt dessen mögliche Mitverantwortung hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten der Klägerin, die praktisch blindlings plötzlich den Radweg betreten hat, vollständig zurück.
Denn ein Fußgänger darf eine Fahrbahn erst dann betreten, wenn er sich davon überzeugt hat, dass er keinen Fahrzeugführer gefährdet. „Bereits im Vorschulalter gehört es zur elementaren Verkehrserziehung, eine Straße erst nach einer doppelten Umschau zu überqueren. Gegen diese elementare Sorgfaltspflicht hat die Klägerin verstoßen“, heißt es abschließend in der Urteilsbegründung.
(Quelle VersicherungsJournal 14.03.2012)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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