09.05.2012
Streit um Behandlungsfehler mit tödlichen Folgen

Auch wenn ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient eine auf den ersten Blick schlüssige Eigendiagnose stellt, so ist sein Arzt dazu verpflichtet, die Diagnose durch eigene Untersuchungen sorgfältig und umfassend zu überprüfen. Unterlässt er das, so ist er zum Schadenersatz verpflichtet, wenn die Diagnose des Patienten falsch war und er dadurch einen Gesundheitsschaden erleidet, so das Oberlandesgericht Koblenz in einem Beschluss vom 30. Januar 2012 (Az.: 5 U 875/11).
Der Entscheidung lag die Klage der Hinterbliebenen eines 36-jährigen Rettungssanitäters zugrunde, der sich im Mai 2007 von Kollegen mit einem Krankenwagen zu einem Orthopäden hatte bringen lassen.
Eigendiagnose
Dem berichtete der sehr selbstbewusst und sachkundig auftretende Mann von außergewöhnlich starken Schmerzen in der linken Körperhälfte. Als Ursache vermutete er einen eingeklemmten Nerv im Halswirbelbereich.
Nachdem der Orthopäde diese Eigendiagnose durch eine Wirbelblockade und Muskelverspannung vermeintlich bestätigt fand und ihm der Patient gesagt hatte, dass die Sache internistisch bereits abgeklärt sei, entließ er ihn nach Hause, ohne weitere Untersuchungen vorzunehmen oder nachzufragen, von wann der internistische Befund stammte.
Das sollte sich als Fehler herausstellen. Denn entgegen der Annahme des Orthopäden erfolgte die Befunderhebung nicht etwa am gleichen Tag. Die von dem Rettungssanitäter erwähnte Untersuchung durch einen Internisten war vielmehr im Vorjahr durchgeführt worden.
Keine Veranlassung für weitere Untersuchungen?
Wenige Stunden, nachdem der Mann zuhause eingetroffen war, fand ihn seine Ehefrau bewusstlos im Badezimmer. Er verstarb kurz darauf an den Folgen eines schweren Herzinfarktes.
Die Hinterbliebenen verklagten den Orthopäden daraufhin auf Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden, die sie durch den Tod ihres Mannes beziehungsweise Vaters erlitten hatten.
Doch der Orthopäde war sich keiner Schuld bewusst. Da sein eigener Befund mit dem seines fachkundig auftretenden Patienten übereinstimmte, habe keine Veranlassung für weitere Untersuchungen oder die Hinzuziehung eines Internisten bestanden. Er habe sich vielmehr auf die Angaben des Verstorbenen verlassen und außerdem davon ausgehen dürfen, dass die von diesem erwähnte internistische Abklärung am gleichen Tage erfolgt war.
Doch dem wollten weder das Landgericht Mainz noch das von dem Orthopäden in Berufung angerufene Koblenzer Oberlandesgericht folgen. Beide Gerichte gaben der Klage der Hinterbliebenen dem Grunde nach statt.
Grober Behandlungsfehler
Grundsätzlich, so das Gericht, ist ein Arzt unabhängig von seiner Fachrichtung gegenüber einem Patienten dazu verpflichtet, alles zur Erforschung und Behebung von durch diesen geschilderten Symptomen zu unternehmen.
Das aber heißt, dass ein Arzt laienhafte Diagnosen, werden sie auch noch so bestimmt und selbstbewusst geäußert, kritisch hinterfragen und eigene Befunde erstellen muss. Wäre der Orthopäde dieser Verpflichtung nachgekommen, so hätte das Leben des Rettungssanitäters nach Überzeugung der Richter mit hoher Wahrscheinlichkeit gerettet werden können.
Angesichts der von dem Verstorbenen geschildeten Symptome hat der Beklagte einen groben Behandlungsfehler begangen, als er auf eine internistische Abklärung verzichtete. Er durfte sich keinesfalls auf die Angaben seines Patienten verlassen, so das Gericht.
Über die Höhe der den Angehörigen zustehenden Entschädigung hat nun das Mainzer Landgericht in einem weiteren Verfahren zu entscheiden.
(Quelle VersicherungsJournal 07.05.2012)

Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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