Nach dem Auftreten einer konkreten Glättegefahr muss Gemeinden nach den Umständen des Einzelfalls ein gewisser Zeitraum für organisatorische Maßnahmen zugebilligt werden, um ihrer Räum- und Streupflicht nachzukommen. Dieser Zeitraum kann durchaus aus mehrere Stunden betragen, so das Oberlandesgericht Hamm in einem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Urteil vom 7. Dezember 2010 (Az.: I-9 U 113/10).
Der Kläger war im Dezember des Jahres 2005 gegen 11:30 Uhr auf einem durch vorausgegangenen Schneefall glatten Fußgängerüberweg gestürzt. Dabei hatte er sich schwere Schulter- und Armverletzungen zugezogen.
Verletzung der Verkehrssicherungs-Pflicht?
Weil am Unfalltag zwischen acht und neun Uhr Schneefall eingesetzt hatte, war der Kläger der Meinung, dass die Gemeinde den Überweg zum Unfallzeitpunkt längst hätte streuen beziehungsweise räumen müssen. Er verklagte sie daher wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungs-Pflicht auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von rund 240.000 Euro.
In dem sich anschließenden Rechtsstreit verteidigte sich die Gemeinde damit, ihren Winterdienstpflichten genügt zu haben. Denn sie verfüge bereits seit Jahren über einen ausgeklügelten Streuplan, der gewährleiste, dass bei Bedarf sämtliche verkehrswichtigen Straßen und Wege innerhalb von rund fünf Stunden abgestreut werden könnten. Dem sei sie auch am Unfalltag nachgekommen. Mehr könne nicht von ihr verlangt werden.
Am Unfalltag habe man sich abweichend vom Streuplan im Übrigen zuerst den stärker von dem Schneefall betroffenen Stadtteilen widmen müssen. Zu denen habe der Stadtteil, in welchem der Kläger zu Schaden kam, nicht gehört.
Mit Beginn des Tagesverkehrs
Diese Argumente fanden sowohl die Richter des in der Vorinstanz angerufenen Essener Landgerichts als auch ihre Kollegen vom Oberlandesgericht Hamm überzeugend. Sie wiesen die Klage als unbegründet zurück.
Nach Ansicht der Richter beginnt die Streupflicht von Gemeinden in der Regel frühestens mit Beginn des allgemeinen Tagesverkehrs um sieben Uhr morgens. Dabei ist den Gemeinden ein gewisser Zeitraum zur Durchführung organisatorischer Maßnahmen zuzubilligen.
Die Zeitspanne zwischen dem Auftreten der Glättegefahr und dem Abstreuen ist auf jeden Fall dann nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde ihren Verpflichtungen aus dem Streuplan nachkommt und dieser eine sichere Erfüllung des Winterdienstes gewährleistet.
Zeitplan eingehalten
Gemessen an diesen Maßstäben ist die beklagte Gemeinde nach Überzeugung der Richter ihrer Streupflicht auch am Unfalltag in ausreichender Weise nachgekommen.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass sich der Winterdienst zuerst den stärker durch den Schneefall betroffenen Stadtgebieten widmete, ehe er die Wege und Straßen in dem Stadtteil streute, in welchem der Kläger verunglückte. Denn die Mitarbeiter des Dienstes befanden sich zum Zeitpunkt des Unfalls unstreitig deutlich innerhalb der im Streuplan festgelegten Zeiten.
Die Gemeinde hat folglich nicht ihre Verkehrssicherungs-Pflicht verletzt, sodass die Klage abzuweisen war. Unter den gegebenen Umständen sahen die Richter keine Veranlassung zur Klärung der Frage, ob den Kläger nicht ohnehin ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfall traf, weil er sich nicht ausreichend auf die winterliche Glätte eingestellt hat.
Gründe für die Zulassung einer Revision zum Bundesgerichtshof bestehen nach Ansicht des Gerichts nicht.
(Quelle VersicherungsJounral 23.01.2012)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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