Ein Autofahrer, der auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt, das aus für ihn nicht zu erkennenden Gründen plötzlich erheblich seine Geschwindigkeit reduziert, trifft in der Regel kein alleiniges Verschulden an dem Auffahrunfall. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Juli 2011 hervor (Az.: 4 U 16/11).
Der Beklagte war mit seinem Lkw auf dem rechten Fahrstreifen einer Autobahn gefahren, als ein vor ihm fahrender Transporter aus für ihn nicht erkennbaren Gründen plötzlich seine Geschwindigkeit von rund 80 auf etwa 40 Kilometer pro Stunde reduzierte. Da es dem Beklagten nicht gelang auszuweichen, kam es zu einem Auffahrunfall.
Mitverschulden?
Nach dem Motto „Wer auffährt hat Schuld“ machte der Kläger den Beklagten für den Unfall verantwortlich. Er verlangte daher den vollständigen Ersatz des ihm entstandenen Schadens.
Der Beklagte war hingegen der Ansicht, dass er nicht damit rechnen musste, dass der Kläger quasi aus heiterem Himmel seine Geschwindigkeit um die Hälfte reduzieren würde, ohne dass dieses die Verkehrssituation verlangte. Er machte ihn daher für den Unfall mitverantwortlich.
Zu Recht, meinten die Richter des Oldenburger Oberlandesgerichts. Sie gaben der Schadenersatzklage des Vorausfahrenden nur zum Teil statt.
Kein unabwendbares Ereignis
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der Kläger einen Defekt an seinem Fahrzeug bemerkt und war deswegen schlagartig langsamer gefahren. Dieser Defekt hatte sich aber weder auf die Lenkfähigkeit des Autos noch auf seine allgemeine Fahrfähigkeit ausgewirkt.
Es wäre dem Kläger daher technisch problemlos möglich gewesen, sein Fahrzeug auf den Standstreifen zu lenken und den nachfolgenden Verkehr durch Einschalten der Warnblinkanlage zu warnen.
Das aber hatte er nicht gemacht. Er hat sich daher nicht wie ein sogenannter „Idealfahrer“ verhalten mit der Folge, dass der Unfall für ihn nicht unabwendbar war.
Gut bedient
Grundsätzlich, so das Gericht, wiegt das Verschulden des Beklagten als Auffahrenden zwar deutlich schwerer als das des Klägers. Dem Kläger sei aber vorzuwerfen, nicht optimal gehandelt, das heißt nicht alle ihm zumutbaren Sicherheitsmaßnahmen hinreichend schnell eingeleitet zu haben.
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände hielten die Richter eine Haftungsverteilung von einem Viertel zu drei Viertel zu Lasten des Beklagten für angemessen. Damit ist der Kläger noch gut bedient. Die Vorinstanz hatte ihm nämlich nur eine Quote von 50 Prozent zugesprochen.
(Quelle VersicherungsJournal 22.09.2011)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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