26.09.2011
Wenn ein Kinderfahrrad gegen ein Auto kippt

Den Eltern eines fünfjährigen Kindes kann in der Regel keine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen werden, wenn das Fahrrad des Kindes kurz nach Ankunft im Kindergarten im Gedrängel umfällt und dabei ein vorbeikommendes Auto beschädigt. Das hat das Amtsgericht München mit einem gestern veröffentlichten Urteil vom 19. November 2010 entschieden (Az.: 122 C 8128/10).
Die Ehefrau des Klägers war auf der Suche nach einem Parkplatz, als in Höhe eines Kindergartens ein Kinderfahrrad umkippte und mit seiner Sichtstange gegen das vorbeifahrende Fahrzeug schlug.
Aufsichtspflicht-Verletzung?
Das Fahrrad gehörte der fünfjährigen Tochter des Beklagten, der sein Kind zwar zu dem Kindergarten begleitet, es aber auf den letzten Metern hatte vorausfahren lassen. Mit dem Argument, dass der Vater seine Aufsichtspflicht verletzt habe, forderte der Kläger von ihm beziehungsweise seiner Privathaftpflicht-Versicherung den Ersatz des Fahrzeugschadens in Höhe von rund 1.400 Euro.
Der Mann war sich jedoch keiner Schuld bewusst. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war das Fahrrad seiner Tochter nämlich deswegen umgefallen, weil es bei der Ankunft vor dem Kindergarten ein Gedrängel gegeben hatte. Er hätte den Schaden daher nur dann verhindern können, wenn er das Kinderrad permanent festgehalten hätte. Das aber würde das Maß seiner Aufsichtspflicht übersteigen.
Zu Recht, meinte das Münchener Amtsgericht. Es wies sie Schadenersatzklage des Fahrzeughalters als unbegründet zurück.
Eigenheiten und Erfahrungen
Nach Ansicht des Gerichts bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht von Kindern nach deren Alter, Eigenart und Charakter sowie der Voraussehbarkeit eines schädigenden Verhaltens. Daher ist insgesamt nur das zu tun, was verständige Eltern vernünftigerweise in der konkreten Situation für erforderlich und zumutbar halten müssen, um eine Schädigung Dritter durch ihr Kind zu vermeiden.
Das Gericht hält es zwar für unbestritten, dass nicht schulpflichtige Kinder im Straßenverkehr einer ständigen Aufsicht bedürfen. Dessen Umfang bestimmt sich jedoch nach den Eigenheiten und Erfahrungen des Kindes.
In dem zu entscheidenden Fall fuhr das Kind seit mehr als zweieinhalb Jahren Fahrrad. Die Strecke zum Kindergarten legte es seit zwei Jahren zurück, ohne dass es zu einem Unfall gekommen wäre. Unter diesen Umständen spricht nach Ansicht des Gerichts nichts dagegen, dass der Vater seine Tochter die letzten paar Meter zum Kindergarten vorausfahren ließ, zumal es sich um eine weitestgehend von Autos ungenutzte Strecke handelte.
Pech gehabt
Zu den Erziehungspflichten von Eltern gehört es nämlich auch, ihre Kinder zu selbstständigen und verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern zu erziehen. Dazu ist es nötig, ihnen gewisse Freiräume zu lassen, die es ihnen ermöglichen, Gefahrensituationen zu erkennen und selbstständig zu meistern, so das Gericht.
Dass Umfallen des Fahrrades hätte der Vater nur verhindern können, wenn er es permanent an der Lenkstange geführt hätte. Dazu war er aber im Sinne der Persönlichkeits-Entwicklung seiner Tochter nicht verpflichtet. Denn das wäre einer Gängelei gleichgekommen.
Da das Kind wegen seines Alters noch nicht deliktsfähig ist und seinem Vater keine Aufsichtspflicht-Verletzung vorgeworfen werden kann, geht der Kläger leer aus. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
(Quelle VersicherungsJournal 31.05.2011)


Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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