02.05.2011
Im Rausch der Geschwindigkeit

Wer auf einer Autobahn die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nachweislich deutlich überschreitet, haftet bei einem Unfall in der Regel zumindest aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Das gilt selbst dann, wenn den Unfallbeteiligten ein erhebliches Verschulden am Zustandekommen einer Kollision trifft – so das Oberlandesgericht Nürnberg in einer Entscheidung vom 9. September 2010 (Az.: 13 U 712/10).
Der Kläger war bei Dunkelheit und regem Fahrzeugverkehr mit seinem Pkw auf eine Autobahn aufgefahren. Er wechselte kurz darauf von der rechten auf die linke Fahrspur. Zu diesem Zeitpunkt hatte sein Fahrzeug nach den Feststellungen eines Sachverständigen eine Geschwindigkeit von mindestens 103 Stundenkilometern erreicht.
Mitverschulden?
Kurz darauf fuhr der von hinten kommende Beklagte mit seinem Pkw auf das Fahrzeug des Klägers auf. Der Beklagte war zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von nachweislich mindestens 160 km/h unterwegs.
Der Kläger räumte zwar ein, in erheblichem Maße für das Zustandekommen des Unfalls verantwortlich zu sein. In dem sich anschließenden Rechtsstreit vertrat er jedoch den Standpunkt, dass den Beklagten ein Mitverschulden an dem Unfall treffe.
Denn dieser sei angesichts der Verkehrslage sowie der Dunkelheit unangemessen schnell gefahren. Hätte der Beklagte die auf deutschen Autobahnen geltende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingehalten, so wäre der Unfall zu vermeiden gewesen – so die Argumentation des Klägers.
Haftung aus Betriebsgefahr
Dem stimmten die Richter des Nürnberger Oberlandesgerichts zu. Sie konnten zwar kein Verschulden des Beklagten erkennen, gingen jedoch von einer Haftung aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs aus.
Ein Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein Idealfahrer verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung nach Auffassung des Gerichts nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat, sondern muss sich auch darauf erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre.
Davon konnte nach Meinung der Richter in dem zu entscheidenden Fall nicht ausgegangen werden. Denn ein Idealfahrer fährt nicht schneller als mit Richtgeschwindigkeit. Ihm ist nämlich bewusst, dass die Gefahr, einen Unfall nicht vermeiden zu können, indem er von anderen Verkehrsteilnehmern nicht rechtzeitig wahrgenommen wird, durch eine höhere Geschwindigkeit deutlich steigt.
Fuß vom Gas
Ein Verkehrsteilnehmer, der die auf Autobahnen geltende Richtgeschwindigkeit deutlich überschreitet, kann sich im Falle eines Unfalls daher nur dann auf Unabwendbarkeit berufen, wenn er nachweist, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit nicht zu vermeiden gewesen wäre.
Das war laut den Feststellungen des durch die Richter beauftragten Sachverständigen in der zu entscheidenden Sache nicht der Fall. Denn wäre der Beklagte mit nur 130 km/h gefahren, so hätte er lediglich den Fuß vom Gaspedal nehmen müssen, um eine Kollision zu verhindern.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten war folglich deutlich erhöht. Das Gericht verurteilte ihn daher dazu, sich mit einer Quote von 25 Prozent an den Aufwendungen des Klägers zu beteiligen. Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision sahen die Richter nicht.
Vergleichbare Entscheidung
Mit einer Quote von 25 Prozent kam der Beklagte noch relativ gut davon.
Das Oberlandesgericht Koblenz hatte den Fahrer eines Motorrades im Januar 2007 auf 50 Prozent seines Schadens sitzen gelassen. Allerdings war der Motorradfahrer auch deutlich schneller unterwegs (VersicherungsJournal 24.1.2007).
(Quelle VersicherungsJournal 08.03.2011)

Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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