09.08.2010
Teure Ungeduld

Beauftragt ein Versicherter einen Anwalt, weil sein Krankenversicherer sich viel Zeit damit lässt, eine zwingend erforderliche Kostenzusage zu erteilen, hängt es von dem Umständen des Einzelfalls ab, ob der Versicherer die Anwaltskosten übernehmen muss.
Das geht aus einem kürzlich bekannt gewordenen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26. Mai 2009 hervor (Az.: 5 U 23/09).
Lebensbedrohliche Erkrankung
Der Kläger hatte bei der Beklagten im Jahr 2004 eine private Krankenversicherung abgeschlossen. Gut 18 Monate später erkrankte er an einer seltenen Krankheit, die in der Hälfte aller Fälle innerhalb von zehn bis 15 Jahren zum Tode führt.
Seit der niederschmetternden Diagnose musste sich der Kläger alle zwei Wochen einer Bluttransfusion unterziehen. Im Sommer des Jahres 2007 wurde von der europäischen Arzneimittelagentur ein Medikament zugelassen, welches für die Behandlung der Krankheit Erfolg versprach.
Das Medikament musste jedoch lebenslang eingenommen werden. Weil dadurch monatliche Kosten in Höhe von rund 35.000 Euro entstanden, bat der Arzt des Klägers in dessen Auftrag den Krankenversicherer mit Schreiben vom 20.8.2007 um Kostenzusage.
Beauftragung eines Anwalts
Nachweislich der Dokumentation des Versicherers begann dort die Bearbeitung des Antrags neun Tage später. Der Versicherer teilte dem Versicherten jedoch erst mit Schreiben vom 19.9.2007 mit, dass der Leistungsantrag geprüft werde und die Einholung eines externen Gutachtens beabsichtigt sei.
Eine Woche später wies der Versicherte auf die Dringlichkeit der Sache hin. Gleichzeitig setzte er seinem Versicherer eine Frist zur Kostenzusage bis zum 5.10.2007.
Als der Versicherer diese Frist ohne jegliche Reaktion verstreichen ließ, beauftragte der Kläger einen Anwalt. Dieser setzte dem Versicherer eine abschließende Frist bis zum 18.10.2007. Erst an diesem Tage erklärte der Versicherer sich dazu bereit, die Kosten befristet bis zum 31.12.2007 zu übernehmen. Knapp einen Monat später überließ er dem Versicherten dann eine unbefristete Kostenübernahme.
Kein Verzug?
Der Anwalt stellte dem Versicherten für seine Tätigkeit rund 10.800 Euro in Rechnung, Seine Gebühr errechnete er auf Basis eines Jahreswerts der Behandlungskosten.
Da der Versicherte der Ansicht war, dass sich sein Krankenversicherer spätestens ab 5. Oktober in Verzug befunden hatte, verlangte er von diesem, die Anwaltskosten zu erstatten. Mit Hinweis darauf, dass kein Verzug eingetreten war, weil ihm angesichts der Schwere des Falls eine angemessene Prüfungsfrist zugestanden werden müsse, lehnte es der Versicherer ab, die Gebühren des Anwalts zu übernehmen.
Man traf sich schließlich vor Gericht wieder. Dort erlitt der Versicherte eine Niederlage.
Angemessene Prüfungsfrist
Grundsätzlich, so das Gericht, hat ein Versicherter gegenüber seinem privaten Krankenversicherer nur einen Anspruch auf Geldleistungen. Diese werden mit Beendigung der nötigen Erhebungen fällig.
Von dieser Regel ist jedoch wie im Fall des Klägers dann eine Ausnahme möglich, wenn ein Arzt eine als notwendig erachtete Behandlung wegen ihrer hohen Kosten von einer Deckungszusage des Versicherers abhängig macht.
Wegen der erst kurz zuvor erfolgten Zulassung des Medikaments, mit welchem der Kläger behandelt werden sollte, handelte es sich bei der zu treffenden Entscheidung auch für den Versicherer um „Neuland“. Nach Ansicht des Gerichts ist ihm daher eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen.
Pflichten gegenüber der Versicherten-Gemeinschaft
Selbst unter normalen Umständen hätte dem Versicherer nach Ansicht des Gerichts eine Prüfungsfrist von mindestens einem Monat zugestanden. Er war angesichts der Umstände des Einzelfalls jedoch dazu berechtigt, einen externen Gutachter zu beauftragen und dessen Einschätzung abzuwarten.
Denn ein Versicherer ist nicht nur einem Versicherungsnehmer gegenüber dazu verpflichtet, die Kosten einer notwendigen Therapie zu übernehmen. Es besteht auch eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft der Versicherten, darauf zu achten, dass keine Kosten für möglicherweise unnötige Behandlungen übernommen werden. Dafür muss ihm aber eine angemessene Prüfungsfrist eingeräumt werden, welche der Versicherer in dem zu entscheidenden Fall nach Ansicht des Gerichts nicht überzogen hat.
Zu dem Zeitpunkt, als der Kläger einen Anwalt beauftragte, befand sich der Versicherer daher nicht in Verzug. Er muss folglich auch nicht die von dem Anwalt berechneten Gebühren übernehmen. Die Sache wäre allenfalls dann anders zu beurteilen gewesen, wenn der Kläger nicht unter einer latent, sondern unter einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten hätte.

(Quelle VersicherungsJournal 07.06.2010)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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