Kommt ein Fahrgast kurz nach dem Einsteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel zu Fall, weil er noch keine Gelegenheit hatte, einen festen Halt zu finden, so ist der Betreiber auch ohne eigenes Verschulden aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtet.
Das hat das Amtsgericht München mit einem gestern veröffentlichten Urteil vom 3. Februar 2009 entschieden (Az.: 343 C 27136/08).
Plötzliche Vollbremsung
Der Kläger war Ende Juli 2007 in eine voll besetzte Münchener Tram gestiegen. Unmittelbar nachdem die Straßenbahn losgefahren war, musste dessen Fahrer wegen eines anderen nicht zu ermittelnden Verkehrsteilnehmers voll bremsen.
Weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch keinen festen Halt gefunden hatte, kam er zu Fall. Bei dem Sturz wurde er erheblich verletzt. Außerdem ging seine Brille zu Bruch.
Seine anschließenden Schadenersatz- und Schmerzensgeld-Forderungen wies der Betreiber der Straßenbahn als unbegründet zurück. Denn nach seiner Ansicht hatte sich der Kläger nur deswegen verletzt, weil er sich nicht ausreichend festgehalten hatte.
Kein Mitverschulden
Doch dem wollte das Münchener Amtsgericht nicht folgen. Es gab der Klage des Fahrgastes zwar nicht in der von ihm geforderten Höhe, jedoch dem Grunde nach statt.
Grundsätzlich, so das Gericht, haftet ein Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel für Schäden, die ein Fahrgast beim Betrieb des Fahrzeuges erleidet. Fahrgäste sind allerdings dazu verpflichtet, sich auch selbst um ihre Sicherheit zu bemühen. Mit anderen Worten: Kommt ein Fahrgast zu Schaden, weil er sich nicht ausreichend festhält, so kann er keinen Schadenersatz verlangen.
Nach Überzeugung des Gerichts kann von einem Fahrgast allerdings nicht in jeder Situation erwartet werden, sich festzuhalten. Ausnahmen gelten beispielsweise in Situationen, in denen er seinen Fahrausweis entwertet oder in denen er gerade dabei ist, sich hinzusetzen. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass ein Fahrgast gerade in einer vollen Bahn oder einem vollen Bus eine gewisse Zeit benötigt, ehe er einen zuverlässigen Halt gefunden hat.
Weil sich der Unfall unmittelbar nach dem Anfahren der Straßenbahn ereignet hat, scheidet in dem entschiedenen Fall folglich ein Mitverschulden oder gar ein überwiegendes Verschulden des Klägers aus.
Geringeres Schmerzensgeld
Da den Straßenbahnfahrer an dem Unfall kein Verschulden trifft, haftet die Verkehrsgesellschaft jedoch ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung. Das hat zur Folge, dass dem Kläger zwar seine Brille bezahlt werden muss, ihm aber nur ein geringes Schmerzensgeld zusteht.
Denn anders als bei einer fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Unfallverursachung entfällt bei einer reinen Gefährdungshaftung die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, was in einer deutlich geringeren Höhe zum Ausdruck kommt.
Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Ähnlicher Fall
Im Mai 2007 hat sich das Amtsgericht Frankfurt/Main mit einem ähnlichen Fall befasst. Seinerzeit war ein Fahrgast in einem Bus zu Schaden gekommen, weil er deutlich vor Erreichen der Haltestelle seinen Sitzplatz verlassen hatte.
Mit dem Argument, dass ein Fahrgast jederzeit mit stärkeren Bremsmanövern rechnen muss, wurden seinerzeit die Schadenersatz- und Schmerzensgeld-Forderungen als unbegründet zurückgewiesen (VersicherungsJournal 2.11.2007).
(Quelle VersicherungsJournal 12.01.2010)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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