Der Fahrer eines Linienbusses muss beim Anfahren von einer Haltestelle nicht abwarten, bis ein Radfahrer, der sich noch etwa ein bis zwei Fahrzeuglängen hinter dem Heck des Busses befindet, vorbeigefahren ist.
Das hat das Kammergericht Berlin mit einem kürzlich bekannt gewordenen Urteil vom 24. Juli 2008 entschieden (Az.: 12 U 142/07).
Anfahrender Bus
Der Kläger war mit seinem Rennrad unterwegs, als er sich einer Bushaltestelle näherte. Der Busfahrer hatte den Radler zwar im Rückspiegel wahrgenommen, fuhr jedoch trotz allem an, weil sich das Fahrrad noch ein bis zwei Fahrzeuglängen hinter dem Bus befand.
Im gleichen Augenblick setzte der Kläger zum Überholen des Busses an. Durch einen kräftigen Spurt schaffte er es zwar noch, an dem Bus vorbeizukommen. Er scherte jedoch unmittelbar vor dem Bus wieder ein. Der Busfahrer fuhr daher trotz einer Notbremsung auf das Fahrrad des Klägers auf.
Der Radfahrer verklagte das Busunternehmen daraufhin auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld. Vergebens. Denn ebenso wie das Landgericht wies auch das Berliner Kammergericht die Forderungen als unbegründet zurück.
Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung
Ein Radfahrer, der einen anfahrenden Linienbus überholt und nur knapp vor diesem nach rechts einschert, verstößt gegen § 5 Absatz 4 Satz 4 StVO (Straßenverkehrsordnung), in dem es heißt, dass ein Überholter durch den Überholenden nicht behindert werden darf.
Unabhängig von der Frage, ob der Kläger mit seinem Fahrrad wegen des Vorrangs öffentlicher Verkehrsmittel gemäß § 20 Absatz 5 StVO überhaupt zum Überholen hätte ansetzen dürfen, muss er sich vorhalten lassen, dass er nach dem Verlauf des „verunglückten“ Überholmanövers auf keinen Fall knapp vor dem anfahrenden Bus nach rechts hätte einscheren dürfen – so das Gericht.
Er hätte das Überholmanöver vielmehr abbrechen und den Bus rechts an sich vorbeifahren lassen müssen. Denn nach Überzeugung des Gerichts hätte es sich dem Kläger geradezu aufdrängen müssen, dass er durch seine Fahrweise sich und andere gefährdete.
Kein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten
Der Busfahrer hat nach Meinung der Richter auch nicht gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten gemäß § 10 StVO verstoßen. Denn vor Gericht bestätigte ein Zeuge, dass sich der Kläger noch ein bis eineinhalb Fahrzeuglängen hinter dem Bus befand, als dessen Fahrer losfuhr. Der Fahrer musste daher nicht damit rechnen, dass der Kläger kräftig in die Pedale treten würde, um noch an dem Bus vorbeizukommen.
Als reiner „Freizeitfahrer“ hatte der Kläger andererseits auch keine Veranlassung zu der Annahme, den anfahrenden Bus durch einen Sprint erfolgreich überholen zu können.
Nach all dem war die Klage als unbegründet zurückzuweisen. Denn auch die erhöhte Betriebsgefahr des Busses tritt nach Überzeugung des Gerichts hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Klägers vollständig zurück.
(Quelle VersicherungsJournal 24.03.2009)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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