23.02.2009
Zu 15 Prozent berufsunfähig und trotzdem volle Leistung?

Auch wenn sich bei der Überprüfung eines laufenden Leistungsfalls herausstellt, dass sich der Gesundheitszustand eines Versicherten wesentlich gebessert hat, ist ein Berufsunfähigkeits-Versicherer nicht automatisch dazu berechtigt, seine Zahlungen einzustellen. Er hat vielmehr zu überprüfen, in welchem Umfang sich die verbesserte Leistungsfähigkeit des Versicherten auf dessen Fähigkeit, seinen Beruf ausüben zu können, auswirkt, so das Oberlandesgericht Karlsruhe in einer Entscheidung vom 3. Juli 2008 (Az.: 12 U 22/08).
Der Kläger hatte im Jahr 1990 bei dem beklagten Versicherer eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Es war vereinbart, dass der Versicherer bei einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent 100 Prozent der vereinbarten Rente zahlen sollte.
Burnout-Syndrom
Im Jahr 2001 erkrankte der Kläger im Zusammenhang mit einem Burnout-Syndrom an einer schweren depressiven Störung, welche unter anderem eine stationäre Behandlung erforderlich machte. Dem Kläger wurde von den behandelnden Ärzten eine Berufsunfähigkeit von 70 Prozent attestiert.
Der Berufsunfähigkeits-Versicherer erkannte seine Leistungsverpflichtung an und zahlte ab dem 1.9.2001 die vereinbarte Rente. Im Jahr 2002 und 2003 machte der Versicherer von seinem Recht auf Nachprüfung Gebrauch. Dabei wurde dem Kläger eine anhaltende Berufsunfähigkeit mit einem Grad zwischen 75 und 80 Prozent bescheinigt.
Verbesserung des Gesundheitszustandes
Im Sommer 2007 musste sich der Kläger auf Veranlassung seines Versicherers erneut einer Nachuntersuchung unterziehen. Dabei wurde von dem Gutachter festgestellt, dass der Kläger zwar weiterhin an einer depressiven Störung litt. Den Grad der Berufsunfähigkeit bemaß der Sachverständige jedoch nur noch mit zehn bis 15 Prozent.
Der Versicherer nahm das Ergebnis der Nachuntersuchung zum Anlass, die Rentenzahlungen an den Kläger ab November 2007 einzustellen. Als Begründung verwies er auf die laut Sachverständigen-Gutachten nur noch geringe gesundheitliche Beeinträchtigung des Versicherten.
Der Kläger fühlte sich jedoch alles andere als in der Lage, seinen früheren Beruf als selbstständiger Rechtsanwalt wieder auszuüben und zog vor Gericht – mit Erfolg.
Fehlende Nachvollziehbarkeit
Das Oberlandesgericht Karlsruhe verpflichtete den Versicherer im Rahmen einer einstweiligen Verfügung dazu, dem Kläger weiterhin in vollem Umfang die vereinbarte Berufsunfähigkeits-Rente zu zahlen und den Vertrag wie bereits zuvor von der Beitragszahlung zu befreien.
Will ein Berufsunfähigkeits-Versicherer seine Leistungen einstellen, so muss er nachvollziehbar begründen, warum die Rentenzahlungen enden sollen. Eine Nachvollziehbarkeit setzt jedoch voraus, dass eine Vergleichsbetrachtung angestellt wird.
Das heißt, dass der Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Nachprüfung und seine angebliche Fähigkeit, seinen Beruf wieder ausüben zu können, mit jenem Zustand verglichen werden muss, der zu Beginn der Berufsunfähigkeit bestand.
Zu leicht gemacht
Nach Auffassung des Gerichts hat es sich der Versicherer zu leicht gemacht, als er seine Zahlungen ohne weitere Begründung unter Hinweis auf die vom Sachverständigen festgestellte Berufsunfähigkeit von nur noch zehn bis 15 Prozent einstellte.
Denn der Gutachter attestiert dem Kläger zwar eine Leistungsfähigkeit von 85 bis 90 Prozent, sieht ihn jedoch weiterhin vor allem bei Tätigkeiten unter Zeitdruck, bei der Mitarbeiterführung und bei der Austragung und Lösung von Konflikten beeinträchtigt.
Rechtsunwirksamer Aufhebungsbescheid
Insbesondere die „Austragung und Lösung von Konflikten“ gehört jedoch nach Ansicht des Gerichts zum täglichen Brot eines Rechtsanwalts, denn gerade zu diesem Zweck würden Rechtsanwälte üblicherweise aufgesucht. Auch habe ein Rechtsanwalt in aller Regel Mitarbeiter, die er selbstredend auch immer wieder anleiten und führen müsse.
Zudem sei dem Senat aufgrund des täglichen Umgangs mit den Angehörigen dieser Berufsgruppe hinlänglich bekannt, dass Rechtsanwälte bei ihrer Arbeit nahezu täglich unter enormem Zeitdruck stehen, so das Gericht weiter.
Deshalb „hätte die Beklagte in ihrer Mitteilung vom 30.8.2007 nicht davon absehen dürfen, nachvollziehbar zu erläutern, weshalb der Kläger trotz seiner Defizite gerade auf diesen Gebieten in der Lage sein soll, seine ‚zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt in eigener Kanzlei’ zu mehr als 50 Prozent wieder aufzunehmen“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Nach all dem hält das Gericht den Aufhebungsbescheid des Versicherers für rechtsunwirksam. Es gab der Klage des Versicherten in vollem Umfang statt. Die Entscheidung kann im Volltext auf den Internetseiten des Gerichts nachgelesen werden.

(Quelle VersicherungsJournal 03.12.2008)


Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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