06.03.2006
Von der Unverletzlichkeit der Wohnung


Allgemeine Zweifel an den Angaben eines Arbeitslosengeld II-Empfängers berechtigen die Sozialbehörde nicht zu einem Hausbesuch. Das hat das Landessozialgericht Hessen mit Urteil vom 30. Januar 2006 entschieden (Az.: L 7 AS 1/06 ER und L 7 AS 13/06 ER).
Geklagt hatte eine Arbeitslosengeld II (ALG II)-Empfängerin, die ihre selbstständige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste und so zum Sozialfall wurde.
Anordnung eines Hausbesuchs
Weil die Frau eine nach Ansicht der Behörden zu große Wohnung bewohnte und die Sozialbehörde Zweifel daran hatte, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit tatsächlich eingestellt hatte, ordnete sie einen Hausbesuch an.
Als die Betroffene wissen wollte, mit welchem Recht bei ihr eine „Hausdurchsuchung” durchgeführt werden solle, wurde ihr unter anderem mitgeteilt, dass solche Besuche grundsätzlich bei allen Bürgern durchgeführt würden, die Anträge auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II stellen würden.
Nur so könne geklärt werden, ob die im Antrag gemachten Angaben korrekt seien. Durch die Maßnahme solle sichergestellt werden, dass mit Steuergeldern sparsam und wirtschaftlich umgegangen werde.
Aufrechterhaltung der Internetpräsenz
Im Übrigen wolle man mit Hilfe des Hausbesuchs feststellen, ob die Antragstellerin ihr Gewerbe tatsächlich eingestellt habe. Zwar habe sie ihre Gewerbe abgemeldet, sei aber auch weiterhin mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten.
Die Betroffene hielt dem entgegen, dass durch ein völliges optisches Verschwinden aus dem Internet eine mögliche Wiederaufnahme ihrer selbstständigen Tätigkeit nach Genesung erschwert sei. Bei einem Hausbesuch könne man selbstverständlich einen Computer und einen Schreibtisch in Augenschein nehmen. Daraus könne allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass sie auch weiterhin ihr Gewerbe ausüben würde.
Unverletzlichkeit der Wohnung
Auch dem Gericht ging das Begehren der Sozialbehörde nach einer Ortsbesichtigung zu weit.
Die Richter machten deutlich, dass das Sozialgesetzbuch Hausbesuche nicht direkt vorsehe. Die Unverletzlichkeit der Wohnung sei ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut.
Solche Besuche seien daher allenfalls dann zulässig, wenn abhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls, nur mit ihrer Hilfe der vom Antragsteller begehrte Bedarf festgestellt werden könne.
Vager Verdacht
Im zu entscheidenden Fall habe aber kein über einen vagen Verdacht hinausgehender berechtigter Zweifel an den Angaben der Klägerin bestanden.
Über eine mögliche Geschäftstätigkeit der Klägerin könne im Übrigen nur die Vorlage einer Gewinn- und Verlustrechnung, die Steuererklärung sowie die Prüfung von Geschäftsunterlagen und die Vernehmung von Zeugen verlässlich Auskunft geben. Die Behörde sei eine Erklärung dafür schuldig geblieben, welche zusätzlichen Erkenntnisse durch eine Ortsbesichtigung hätten gewonnen werden können.
Die Ablehnung eines Hausbesuchs könne daher nicht als Begründung herangezogen werden, Leistungen nach ALG II zu verweigern.
(Quelle VersicherungsJournal 03.03.2006)

Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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