13.02.2006
Arzt muss für ungewolltes Kind zahlen

Für ein ungewolltes Kind muss ein Gynäkologe wegen ärztlichen Behandlungsfehlers Unterhalt zahlen, wenn die verlangte Verhütung versagt hat. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) mit Urteil vom 1. Februar 2006 entschieden (Az.: 13 U 134/04 – nicht rechtskräftig).
Dieser Fall dürfte die Berufshaftpflichtversicherer der Ärzte aufschrecken: Eine Frau (21) hatte ihren Gynäkologen aufgesucht, um sich ein lang wirkendes Verhütungsmittel in einem Plastikröhrchen oberhalb der Ellenbeuge unter der Haut einsetzen zu lassen.
Verhütung fehlgeschlagen
Knapp sechs Monate danach stellte derselbe Arzt eine Schwangerschaft in der 16. Woche fest. Das Implantat konnte nicht mehr gefunden, der Wirkstoff im Blut der Frau nicht nachgewiesen werden. Da es für eine Abtreibung zu spät war, hielt die Frau sich an den Arzt und verlangte Ersatz für den Kindesunterhalt, den sie und der nichteheliche Vater leisten müssten (Bar- und Betreuungsunterhalt).
Sie behauptete, dass der Arzt das Implantat überhaupt nicht oder fehlerhaft eingesetzt hat. Der Vater des Kindes und sie hätten weder damals noch später ein Kind haben wollen, da sie sich erst ein halbes Jahr gekannt hätten und sie ihre sehr gut dotierte Arbeitsstelle antreten wolle.
Arzthaftung erst bei abgeschlossener Familienplanung?
Der Vater trat seine Ansprüche an die Frau ab, mit der er zu keiner Zeit zusammengelebt hatte. Als der Arzt nicht zahlen wollte, zog die Mutter vor Gericht. Das Landgericht schmetterte ihre Forderung ab. Begründung: Es könne nicht von einem ungewollten Kind die Rede sein, denn die Familienplanung der jungen Frau sei sicher nicht abgeschlossen. Was heute an Unterhalt aufgewandt werde, werde später erspart.
Die Berufung der Frau gegen dieses Urteil war erfolgreich. Das OLG verurteilte den Arzt zur Zahlung von Unterhalt für das Kind ab dem Zeitpunkt der Geburt. Begründung: Die Unterhaltslast für das Kind sei ein Schaden im Rechtssinne.
Nachweislicher Behandlungsfehler
In Frage stehe lediglich die haftungsrechtliche Zurechnung der wirtschaftlichen Belastung durch das Kind zur Verletzung eines Arztvertrages, der auf die Verhinderung einer Schwangerschaft gerichtet war. Auch und gerade bei einer jungen Frau könne sich die Frage der haftungsrechtlichen Zurechnung eines „unerwünschten" Kindes stellen.
Eine fehlgeschlagene Familienplanung liegt nicht nur vor, wenn gewünschte endgültige Kinderlosigkeit vorliegt, sondern auch dann, wenn die aktuelle Planung durchkreuzt wird, und die zukünftige Planung endgültig noch nicht absehbar ist. Die Familienplanung der Frau bestand darin, noch nicht heiraten und auch kein gemeinsames Kind mit ihrem Partner haben zu wollen.
Arzt muss Unterhaltslast tragen
Diese Planung sei durch die fehlgeschlagene Verhütung gestört. Ob die Frau später ein Kind gewollt hätte, spielt keine Rolle, meint das OLG. Für sie liegt ein Schaden in der unerwünschten Unterhaltsbelastung, gegen die die fehlgeschlagene Verhütung schützen sollte.
Nach der Beweisaufnahme steht auf der Grundlage eines eingeholten Gutachtens fest, dass dem Arzt beim Einsetzen des Präparats ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Dieser ist für die Schwangerschaft verantwortlich, die bei ordnungsgemäßer Einlage des Präparates sehr sicher verhindert worden wäre.
Nichtehelicher Vater in Behandlungsvertrag einbezogen
Der Frau stehen auch Ansprüche aus dem abgetretenen Recht des Vaters zu, so das OLG weiter. Begründung: Der Vater ist in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen. In der bisherigen Rechtsprechung war immer nur der Ehegatte einbezogen, für den nichtehelichen Erzeuger hatte der BGH diese Frage ausdrücklich offen gelassen.
Für seine Einbeziehung spricht, dass auch in einer nicht auf die Herstellung einer Lebensgemeinschaft gerichteten Partnerschaft der übereinstimmende Wille gegeben sein kann, keine Familie zu gründen. Gemeinsam geplante Empfängnisverhütung ist kein Privileg ehelicher oder nichtehelicher Lebensgemeinschaften.
Ruft Arzt den BGH an?
Es sei grundsätzlich vom Interesse der Patientin auszugehen, zumindest den gegenwärtigen Partner durch den Vertrag mit dem Arzt, der die Empfängnisverhütung ermöglicht, in gleicher Weise vor Unterhaltslasten zu schützen wie sich selbst. Dies gelte hier umso mehr, weil dem Arzt der konkrete Anlass für die Schwangerschaftsverhütung ausdrücklich mitgeteilt worden war.
Deshalb hat im konkreten Fall der nichteheliche Vater in dieser ungefestigten Partnerschaft einen Anspruch auf Schadenersatz wegen Verpflichtung zur Zahlung des Barunterhalts. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles zur Einbeziehung des Vaters in den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat das OLG die Revision beim BGH zugelassen
(Quelle VersicherungsJournal 07.02.2006)

Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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