Die Assekuranz muss ihre Kunden künftig „angemessen" an den stillen Reserven beteiligen. Zudem müssen Versicherte mehr Einblick in die Kalkulation der Kapital-Lebensversicherer erhalten. Dies entschied das Bundes-Verfassungsgericht (BVerfG) mit Urteilen vom 26. Juli 2005 (Az.: 1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96, 1 BvR 80/95). Begründung: Die gesetzlichen Regelungen für die Kapital gebundene Lebensversicherung mit Überschuss-Beteiligung genügten nicht den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen. Es fehlten hinreichende rechtliche Vorkehrungen dafür, dass bei der Berechnung des Schluss-Überschusses die durch die Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerte angemessen berücksichtigt werden.Belange der Versicherten nicht ausreichend berücksichtigt Insbesondere gibt es keine Möglichkeit der Klärung, ob der Schluss-Überschuss zu gering festgesetzt worden ist, etwa durch die Nichtberücksichtigung stiller Reserven und durch nicht gerechtfertigte Querverrechnungen, so das Gericht im Verfahren gegen die Gothaer Lebensversicherung. Gegenwärtig seien die Interessen der Versicherten damit nicht ausreichend geschützt, so die Verfassungsrichter. Stille Reserven entstehen immer dann, wenn der Buchwert etwa von Aktien oder Immobilien geringer ist als ihr Marktwert.Bund der Versicherten mit Musterklagen erfolgreichDas Gericht gab damit drei Versicherten Recht, die auf Betreiben des Bundes der Versicherten e.V. (BdV) höhere Überschuss-Beteiligungen aus ihren Kapital-Lebensversicherungen gefordert und eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte moniert hatten.Führen gesetzliche Regelungen dazu, dass Versicherte ihre rechtlich erheblichen Belange nicht selbst und eigenständig effektiv verfolgen können, bewirkt der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie (nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz) eine Pflicht des Gesetzgebers, für Rechtsverhältnisses zu sorgen, die den Belangen der Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen.Mehr Kundenrechte bei stillen Reserven Ein solches Schutzdefizit betreffe die Überschuss-Ermittlung bei der Kapital-Lebensversicherung, so das Gericht. Die Kunden übertragen den Versicherern durch ihre Beitragszahlungen Vermögen, das vollständig in das unternehmerische Eigentum übergeht. Die Regeln erlauben die Schaffung stiller Reserven. „Nach den Bewertungsregeln bleiben stille Reserven für die Überschuss-Berechnung vollständig außer Ansatz, soweit sie nicht realisiert werden”, kritisiert das Gericht. Der Wettbewerb um das Produkt Lebensversicherung funktioniert für die Versicherten nur in beschränkter Weise, bemängeln die obersten Verfassungsrichter. Die Vertragsbedingungen seien praktisch nicht verhandelbar.Klarer Auftrag zur Nachbesserung an Gesetzgeber Der Kunde habe keine Chance, einen Vertrag mit Überschuss-Beteiligung so abzuschließen, dass die stillen Reserven jedenfalls teilweise auch ohne Realisierung berücksichtigt und Möglichkeiten der Querverrechnung transparent gemacht und inhaltlich begrenzt werden. Hier treffe den Gesetzgeber ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag. „Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber nicht in ausreichendem Maße nachgekommen”, so die Richter. Weder im Versicherungs-Vertragsrecht noch im Versicherungs-Aufsichtsrecht sei für hinreichende Schutzvorkehrungen gesorgt.Verfassungsrichter geben Stoßrichtung vorIn die Prüfung angemessener Lösungen könnten Möglichkeiten zur Sicherung größerer Transparenz hinsichtlich der Entwicklung von Überschussquellen und der Auskehrung von Überschüssen und zur Verbesserung des Informationszugangs ebenso einbezogen werden wie neue Wege zum Schutz der Versicherten. Auch könne die Funktionsweise des Wettbewerbs verbessert werden, etwa durch Erleichterungen beim Wechsel des Versicherers. Das Gericht forderte damit mehr Verbraucherschutz und Transparenz bei der Übertragung von Lebensversicherungen, etwa von einer Mutter- auf eine Tochtergesellschaft, und erklärte Gesetze dazu für teilweise verfassungswidrig. Neuregelung erst ab 2008Der Gesetzgeber muss bis zum 31. Dezember 2007 neue Regelungen schaffen, die den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen der Versicherten genügen. Bis dahin bleibt es allerdings bei der geltenden Gesetzeslage.Der BdV sieht mit den Urteilen das Ende des „legalen Betrugs” gekommen. „Nun ist grundsätzlich geklärt, dass die Versicherungen das Geld ihrer Kunden treuhänderisch verwalten”, sagte BdV-Geschäftsführerin Lilo Blunck.Vertragsrechtliche Vorgaben für Überschuss-BeteiligungDie Versicherer würden lernen müssen, dass sie darüber nicht nach Gutsherrenart verfügen dürfen, so der BdV in einer ersten Stellungnahme. Sie müssten in Zukunft nicht nur mit verstärkter Kontrolle leben, sondern „werden sich auch bei der Überschuss-Beteiligung an vertragsrechtliche Vorgaben halten müssen”. Bisher werde lediglich ein vages Leistungsversprechen abgegeben, so Blunck. An den stillen Reserven wird der Versicherte nur beteiligt, wenn diese Werte veräußert werden. Veräußerungen allerdings liegen allein im Ermessen der Gesellschaft.Versicherer froh über grünes Licht bisherigen VorgehensDer BdV verspricht sich von der Karlsruher Entscheidung Aufwind bei der Beseitigung undurchschaubarer Versicherungs-Bedingungen und damit die zwingende Beantwortung der Frage, wie Überschüsse zu Stande kommen und wie sie verteilt werden.Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hat in seiner Stellungnahme das Urteil ebenfalls begrüßt und sieht darin eine Stärkung der Lebensversicherung, die ihrer steigenden Bedeutung Rechnung trage. Zugleich zeigte sich der GDV erleichtert, dass „einer stärkeren Beteiligung an diesen Reserven für die Vergangenheit eine Absage erteilt” wurde.Versicherer als Treuhänder des Kundenvermögens?Nach GDV-Lesart habe das Gericht auch Vorstellungen eine Absage erteilt, wonach Versicherungsunternehmen als Treuhänder des Vermögens der Versicherten fungieren würden. „Damit ist der Weg frei für eine ideologiefreie Weiterentwicklung des geltenden Rechts”, so der GDV. Die Bundesregierung hält das geltende Versicherungsrecht für verfassungsgemäß. Auch die Verfassungsbeschwerden wenden sich nicht gegen dieses Recht, sondern in erster Linie gegen seine Anwendung und Auslegung durch die Gerichte. „Die VVG-Kommission hat im Hinblick auf die Überschuss-Beteiligung eine Reihe von Verbesserungen vorgeschlagen”, so Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.Versicherungs-Vertragsgesetz soll 2008 kommen Das neue Versicherungs-Vertragsgesetz sollte zum 1. Januar 2008 in Kraft treten. Daran ist durch die Karlsruher Zeitvorgabe nun auch die neu zu wählende Bundesregierung gebunden
(Quelle: VersicherungsJournal 27.07.2005)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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