Ein Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat sich jetzt erstmals in das Verhältnis der Versicherer gegenüber ihren Kunden eingemischt. Das geht aus dem Schlussantrag von L. A. Geelhoed in einem aktuellen Rechtsstreit hervor. Danach soll bei Unfällen unter Alkohol ein Fahrzeughalter auch in Deutschland nicht strenger als die geschädigten Insassen behandelt werden. In der Regel folgt der EuGH in seinem Urteil der Auffassung seiner Generalanwälte.
Wie gefährlich eine Trunkenheitsfahrt werden kann, demonstrierte der Fall, den Geelhoed zu beurteilen hatte. Bei einer Fahrt mit 180 km/h in einer Zone, in der allenfalls 80 km/h zulässig waren, starb ein Insasse, und der Eigentümer des Fahrzeugs wurde querschnittsgelähmt. Verursacht hatte den Schaden ein Freund, der trotz 2,08 Promille im Blut von den Mitfahrern ans Steuer gelassen wurde. Nach Ansicht des finnischen Ausgangsgerichts sollten weder die Insassen noch der Eigentümer von der Versicherung etwas verlangen dürfen.
Nach deutschem Versicherungsrecht würde sie dagegen jeweils nur ein Mitverschulden treffen. Nach Einschätzung von Helmut Schirmer von der Freien Universität Berlin sind das jedoch höchstens „50 Prozent". Ganz ausgeschlossen werden könne der Anspruch aber nicht.
Bisher zahlen die Deutschen Versicherern deshalb sowohl an Insassen als auch Eigentümer erst einmal die gleiche Summe aus. Versicherungsexperte Schirmer betont jedoch, dass der Eigentümer mit seinem Verhalten zusätzlich gegenüber seiner Versicherung eine Pflicht aus dem Haftpflichtvertrag verletzt - und deshalb weniger Geld erhält. Der Grund: „Der alkoholisierte Fahrer sowie der Versicherungsnehmer, der die Alkoholfahrt schuldhaft ermöglicht, begehen jeweils eine Obliegenheitsverletzung", sagt Oliver Dresely von der HUK-Coburg.
Genauso hatte auch die deutsche Bundesregierung in dem konkreten Fall argumentiert. Die Konsequenz für den Fahrzeugeigentümer, der eine Trunkenheitsfahrt ermöglicht oder begeht: Die Versicherung holt sich bis zu 5 000 Euro bei ihm zurück. Alle deutschen Versicherer haben deshalb eine Klausel in ihren Verträgen, die den Eigentümer des Fahrzeugs mit diesem Höchstbetrag in die Pflicht nimmt.
Die Feinheiten des deutschen Rechts scheinen den EU-Generalanwalt aber nicht zu interessieren. Egal ob die Leistung ausgeschlossen oder eine Verletzung des Versicherungsvertrages angenommen wird - Geelhoed fordert unter Hinweis auf eine entsprechende EU-Richtlinie gleiche Behandlung für Eigentümer und Insassen - und damit höhere Zahlungen der Versicherungen an den verletzten Fahrzeughalter.
Geelhoed mischt er sich damit erstmals direkt in die Vertragsgestaltung der deutschen Versicherungen ein. Der EU-Jurist betont zwar auch, dass Insassen und Eigentümer ein Mitverschulden anzurechnen sei. Im Fall des Unfalls müssten die Versicherungen ihren Kunden aber genauso wie jeden Dritten behandeln. Nach Meinung des Generalanwalts dürfen die Versicherungen nur die Ausschlussgründe in der EU-Richtlinie in ihr Kleingedrucktes aufnehmen.
Sollten sich die EuGH-Richter Geelhoeds Schlussanträgen anschließen, stehen den deutschen Verkehrshaftpflichtversicherern höhere Regulierungsbeträge ins Haus. Außerdem werden sie ihre Verträge auf weitere EU-Fallen durchsuchen müssen.
(Quelle Handelsblatt 23.03.2005)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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