01.09.2025
Fehler im Messprotokoll: Wann Temposünder auf Erfolg vor Gericht hoffen können

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat klargestellt, wie mit lückenhaften Messprotokollen bei Geschwindigkeitsverstößen umzugehen ist. Ein formaler Fehler im Messprotokoll führt nicht automatisch zur Unverwertbarkeit der Messung. Entscheidend bleibt, ob die Messung sachlich richtig durchgeführt wurde und wie die Beweise zu würdigen sind.
Einem Autofahrer war vorgeworfen worden, innerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 40 Kilometer pro Stunde überschritten zu haben. Anstatt der erlaubten 50 km/h ist er nach Abzug der Toleranz mit 90 km/h geblitzt worden.
Das Regierungspräsidium Kassel verhängte daraufhin ein Bußgeld von 520 Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat. Auf den Einspruch des Betroffenen, der bereits mehrfach als Verkehrssünder aufgefallen war, erhöhte das Amtsgericht Kassel die Strafe auf 1.000 Euro und ordnete ein Fahrverbot von zwei Monaten an. Das Gericht wertete die Geschwindigkeitsüberschreitung als vorsätzlichen Verstoß, was zu einer verschärften Sanktionierung führte.
Beschwerde gegen verhängtes Bußgeld und Fahrverbot
Das wollte der Fahrer nicht hinnehmen. Er legte Rechtsbeschwerde ein und rügte insbesondere, dass das Messprotokoll lückenhaft gewesen sei.
Das Protokoll ist ein offizielles, vom Messbeamten erstelltes und unterschriebenes Dokument, in dem die Daten zur durchgeführten Messung wie Ort, Zeit, Aufbau und Inbetriebnahme des Messgeräts, gemessene Geschwindigkeit sowie eventuelle Gerätestörungen protokolliert werden.
Keine Auffälligkeiten oder Besonderheiten in der Falldatei
Mit seiner Beschwerde hatte der Mann keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt stellte mit Beschluss (2 ORbs 69/25) vom 15. Mai 2025 keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen fest und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf eines „lückenhaften“ Messprotokolls wurde vom OLG als pauschale Behauptung gewertet, da keine entsprechenden Beweise wie Auffälligkeiten oder Besonderheiten in der sogenannten Falldatei vorgelegt wurden.
Eine Falldatei beinhaltet alle Mess- und Bilddaten, die bei einem Verkehrsverstoß vom Blitzgerät gespeichert werden, darunter Geschwindigkeit, Datum, Uhrzeit, Foto und Position des Fahrzeugs während der Messung sowie Standort- und Gerätedaten des Blitzers.
Was bei fehlerhaften Messprotokollen gilt
Das OLG Frankfurt nahm den Streitfall zum Anlass, den grundsätzlichen Umgang mit unvollständigen Messprotokollen bei Verkehrsverstößen ausführlich zu erläutern. Dabei betonte der Senat, dass Messprotokolle als amtliche Urkunden im Bußgeldverfahren dienen und nach § 256 StPO in der Regel ohne Zeugenvernehmung vor Gericht verlesen werden können.
Fehlen darin jedoch zwingende Angaben, entfällt diese sogenannte zeugenersetzende Wirkung. In diesem Fall muss der Messbeamte als Zeuge vernommen werden, um zu klären, ob die Messung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Entscheidend ist laut OLG aber nicht die formale Vollständigkeit des Protokolls, sondern die tatsächliche Richtigkeit der Messung.
Fehlen bestimmte Angaben und kann der Messbeamte die Messung nicht mehr nachvollziehbar erläutern – beispielsweise, weil sie Monate zurückliegt und er sich nicht mehr erinnert –, gilt die Messung nicht mehr als „standardisiert“. In diesem Fall muss ein Gericht laut OLG alle verfügbaren Beweismittel – insbesondere die Falldatei des Messgeräts – vollständig prüfen und bewerten.
Falldaten: Die Auswertung ist entscheidend
Dies bedeutet: Nicht jeder Fehler im Protokoll führt automatisch zur Einstellung des Verfahrens oder zur Unverwertbarkeit der Messung. Im OLG-Beschluss heißt es dazu: „Ein fehlerhaftes Messprotokoll führt zunächst nur dazu, dass die zeugenersetzende Verlesbarkeit […] entfällt, da die dokumentierte Ermittlungshandlung erkennbar unzutreffend ist.“
Ergeben sich bei der Auswertung der Falldatei keine Auffälligkeiten und lässt sich daraus der korrekte Ablauf der Messung nachvollziehen, kann ein Gericht weiterhin von der Richtigkeit der Messung ausgehen. Das OLG erläutert: Die vom Messgerät erzeugte Falldatei steht dabei im Mittelpunkt der Beweiswürdigung.
Nur wenn die Falldatei Anomalien enthält oder Zweifel an der Zuordnung des gemessenen Werts zum Kfz des Betroffenen bestehen, kann sich dies zugunsten des Fahrzeugführers auswirken. In dem Fall ist in einem entsprechenden Gerichtsverfahren das Gericht nach den Ausführungen des OLG verpflichtet, diesen aufgezeigten Auffälligkeiten nachzugehen.
Anrecht auf Herausgabe der Falldaten
Die Entscheidung verdeutlicht zudem: Wer ein lückenhaftes Messprotokoll rügt, muss konkrete Anhaltspunkte aus der Falldatei benennen, die Zweifel an der Messung begründen. Allgemeine oder pauschale Einwände genügen nicht.
Das OLG betont in seinem Beschluss: „Der Zugang zur Falldatei ist von der Ordnungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat und für die Prüfung der dem Gericht vorgelegten Beweismittel verantwortlich zeichnet, für alle Verfahrensbeteiligten zu garantieren.“
Das heißt, sowohl ein vermeintlicher Verkehrssünder als auch sein Anwalt haben ein Anrecht auf Herausgabe der Falldaten. Dies verdeutlichen auch diverse andere Gerichtsentscheidungen, wie die vom Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1616/18) vom 12. November 2020.
Übrigens hätte dem Verkehrssünder im verhandelten Fall auch die Auswertung der Falldaten keinen Vorteil gebracht. Es gab laut OLG keine Auffälligkeiten, sondern „zeigt lediglich einen einsamen Fahrer, der mit entspanntem Gesicht und gemessenen 90 Stundenkilometern kurz nach Mitternacht durch die Innenstadt von Kassel rast“.
(Quelle VersicherungsJournal (07.07.2025)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in
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