Eine Sterilisation war pflichtwidrig unterlassen und die Patientin darüber nicht informiert worden. Das Landgericht Duisburg entschied in dem Fall, erst die Empfängnis der geschädigten Patientin beziehungsweise der zur Empfängnis führende Geschlechtsverkehr sei das versicherte Schadensereignis im Sinne von Ziffer 1.1 AHB 2008. Damit versagte es der Krankenhausbetreiberin einen Deckungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung, die nach unterlassener Sterilisation und vor Geschlechtsverkehr beziehungsweise Empfängnis geendet hatte.
Im Dezember 2018 wurde im Krankenhaus der Klägerin eine Kaiserschnittgeburt vorgenommen. In deren Rahmen war auch die Sterilisation der Patientin geplant, sie wurde aber nicht durchgeführt. Die Patientin wurde darüber nicht informiert.
2019 wurde sie ungeplant schwanger, 2020 gebar sie eine Tochter. Das Kind leidet an Trisomie 21 und unter mehreren Herzfehlern. Es wurde Pflegegrad 3 festgestellt.
Der Haftpflichtversicherer der Krankenhausbetreiberin zahlte der Geschädigten rund 82.000 Euro, zum Teil ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechts- beziehungsweise Eintrittspflicht“ und im Übrigen mit dem Hinweis „frei verrechenbar“. Gegenüber der Krankenhausbetreiberin lehnte der Versicherer die Deckung ab.
Klägerin: Versicherungsfall vor Vertragsende eingetreten
Das Versicherungsverhältnis, dem unter anderem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB 2008) zugrunde lagen, hatte am 1. Januar 2019 um 12:00 Uhr geendet.
Die Krankenhaus-Betreiberin vertrat aber den Standpunkt, Versicherungsfall sei die im Dezember 2018 unterlassene Sterilisation. Auf die erst nach Versicherungsende eingetretene Empfängnis beziehungsweise Geburt komme es nicht an. Unabhängig davon habe der Versicherer den Deckungsanspruch anerkannt.
Ziffer 1.1 AHB 2008
Versicherungsschutz besteht im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.
Schadenereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, kommt es nicht an.
Quelle: nrwe.justiz.de, 6 O 227/24
Bedingungen bewirken keinen Deckungsanspruch
Das Landgericht Duisburg entschied in seinem Urteil (6 O 227/24) vom 11. Februar 2025: Die Krankenhausbetreiberin hat hier keinen Deckungsanspruch.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne erkennen, dass Ziffer 1.1 Satz 3 AHB 2008 „deutlich zwischen der (kausalen) Pflichtverletzung und dem Schadensereignis differenziert und dass die Schadensverursachung dem Schadensereignis vorgelagert ist, aber diesem nicht entspricht, so dass es auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung nicht ankommt“.
Auch entspreche das Schadensereignis nicht dem Schadenseintritt, da nach Ziffer 1.1. Satz 1 und 2 das Schadensereignis erst zu einem Personen- oder Sachschaden führe.
Maßgebliches Ereignis erst außerhalb der versicherten Zeit
Durch die unterlassene Sterilisation und die fehlende Aufklärung darüber sei es nicht unmittelbar zu einem Personen- oder Sachschaden gekommen.
Das Schadensereignis „in Gestalt der ungewollten Empfängnis beziehungsweise des damit im unmittelbaren Zusammenhang stattgefundenen Geschlechtsverkehrs“ sei erst nach dem 1. Januar 2019, 12:00 Uhr und damit nicht während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten.
„Die Körperverletzung und damit der Personenschaden ist erst durch die ungewollte Schwangerschaft eingetreten.“ Unmittelbar zur Schwangerschaft geführt habe die Empfängnis. Wenn man die Empfängnis als Schadensereignis ablehne, wäre jedenfalls der vorgelagerte Geschlechtsverkehr ein Vorgang, der den Personenschaden in Gestalt der ungewollten Schwangerschaft ausgelöst hat.
„Das Schadensereignis ist damit in jedem Fall außerhalb der versicherten Zeit eingetreten.“
Mögliche Deckungslücke, die aber anders gefüllt werden könnte
Die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Ziffer 1.1 AHB 2008 könne zwar gerade im Bereich der Heilbehandlungen „in besonderen Einzelfällen wie dem vorliegenden zu Deckungslücken führen“, mit denen ein durchschnittlicher Heilbehandler möglicherweise nicht rechnet, wird im Urteil angemerkt.
Zu berücksichtigen sei aber, dass die AHB 2008 allgemeine Haftpflichtversicherungsbedingungen seien, die auf alle möglichen Arten von Haftpflichtkonstellationen Anwendung finden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer sei nicht zwingend ein Heilbehandler, „so dass es auf dessen Verständnis der Versicherungsbedingungen nicht ankommen kann“.
Für die Klägerin habe sich ein Risiko realisiert, „das sich vor allem daraus ergibt, dass sie keinen Haftpflichtversicherungsvertrag mit speziellen Bedingungen abgeschlossen hat, welche die Besonderheiten im Heilbehandlungsbereich auch für Fälle der ungewollten Schwangerschaft berücksichtigen, obwohl solche Versicherungen inzwischen verfügbar sind“.
Bloße Zahlung kein Anerkenntnis
Wie das Gericht weiter feststellte, hat der Versicherer einen Deckungsanspruch auch nicht im Wege eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses gemäß § 781 BGB anerkannt.
„Die bloße Zahlung stellt kein Anerkenntnis dar. Die Zahlungen erfolgten zudem nicht an die Klägerin, sondern an die Patientin direkt, so dass sich hieraus ohnehin kein Verhalten mit Erklärungsgehalt gegenüber der Klägerin ergibt.“
Eine Willenserklärung des Versicherers lasse sich nicht erkennen. Erklärungen mit Rechtsbindungswillen seien den Schreiben an die Geschädigte nicht zu entnehmen.
(Quelle VersicherungsJournal (17.03.2025)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de