Befindet sich auf der eigenen, nur beschränkt zugänglichen Terrasse des Geschädigten eine Dauerbaustelle, aufgrund derer die Terrassenplatten provisorisch uneben verlegt sind, und kennt der Geschädigte diese Umstände, so liegt keine abhilfebedürftige Gefahrenquelle vor. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.
Auf der Terrasse einer Erdgeschosswohnung dauerten im Dezember 2021 Bauarbeiten eine längere Zeit an. Die Terrassenplatten waren nur provisorisch und uneben verlegt. Eine Absperrung der Baustelle war nicht vorhanden.
Zugang zu dem Freisitz hatten nur die beiden Mieter der Wohnung. Das Ehepaar war von der Vermieterin im Vorfeld schriftlich über die Bauarbeiten informiert worden.
Eines Abends betrat die Mieterin bei Dunkelheit die Terrasse. Sie wollte überprüfen, ob sich Fremde im Garten aufhielten. Aufgrund der Kälte entschloss sie sich jedoch, schnell ins warme Haus zurückzukehren. Dabei stürzte sie aufgrund der Bodenunebenheiten auf der Terrasse.
Schmerzensgeldklage: Niederlage in erster und zweiter Instanz
Die Frau war der Auffassung, die mit den Arbeiten an der Terrasse beauftragte Baufirma habe die ihr obliegende Verkehrssicherheitspflicht und ihre vertragliche Schutzpflicht aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verletzt. Deshalb verlangte sie von dem Unternehmen Schmerzensgeld wegen des Sturzes.
Das Landgericht Dortmund (25 O 254/22) wies die Klage der Mieterin jedoch zurück. Auch vor dem Oberlandesgericht Hamm (7 U 114/23) hatte sie mit ihrer Berufung keinen Erfolg.
Zur Begründung heißt es im Urteil, die Beklagte habe keine ihr gegenüber der Klägerin obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld scheide auch deswegen aus, „weil die Klägerin ein weit überwiegendes, den Schadensersatz im vorliegenden Einzelfall ausschließendes Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB trifft“.
Betreten der Terrasse bei Dunkelheit und Kälte
Grundsätzlich sei zwar derjenige, der eine Gefahrenquelle schaffe, verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließe, im praktischen Leben nicht erreichbar sei.
Nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts müsse Vorsorge getroffen werden. Es reiche aus, „diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind“, so das OLG Hamm.
Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt
Nach diesem Maßstab habe die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt. „Es fehlt bereits an einer haftungsbegründenden Gefahr, da sich für ein sachkundiges Urteil nicht die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden“, heißt es.
Zudem sei nicht mit dem Vorgang zu rechnen gewesen. „Vor diesem Hintergrund, dass der Klägerin der unebene Zustand des Terrassenbodens bestens bekannt und im Winter ohnehin nicht mit einer Nutzung der Terrasse und schon gar nicht im Dunklen zu rechnen war, bedurfte es keinerlei Maßnahmen zur Absicherung der Bodenunebenheiten seitens der Beklagten“, schreiben die Richter.
Im Regelfall führt ein Mitverschulden zu einer Haftungsteilung; allerdings kann die Haftung im Ausnahmefall gänzlich ausgeschlossen sein.
Oberlandesgericht Hamm
Geschädigter ist bei Mitwirkung mitverantwortlich
„Unabhängig davon ist eine Haftung der Beklagten auch aufgrund eines weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ausgeschlossen“, wird weiter ausgeführt.
Jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die nach Lage der Sache erforderlich erscheine, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, müsse auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheine, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordere.
Im Regelfall führt dem OLG Hamm zufolge ein Mitverschulden zu einer Haftungsteilung. Die Haftung kann im Ausnahmefall aber auch gänzlich ausgeschlossen sein. Dies ist der Fall, „wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist“, so die Richter.
Vielmehr stellt es sich als grob unvernünftig dar, in einer solchen Situation alleine auf die Suche nach Eindringlingen zu gehen.
Oberlandesgericht Hamm
Bei Rückkehr in die Wohnung Vorsicht außer Acht gelassen
Eine solche ganz besondere, schlechthin unverständliche Sorglosigkeit sei im vorliegenden Einzelfall allerdings anzunehmen. Die Klägerin habe in Kenntnis der Unebenheiten sowie fehlender Absicherung des Baustellenbereiches und der fehlenden Beleuchtung bei Dunkelheit die Terrasse ohne triftigen Grund betreten.
„Dass sie im Garten überprüfen wollte, ob sich dort unbefugte Eindringlinge befunden haben, stellt einen solchen triftigen Grund nicht dar. Vielmehr stellt es sich als grob unvernünftig dar, in einer solchen Situation alleine auf die Suche nach Eindringlingen zu gehen“, notiert das OLG Hamm.
Hinzu komme, dass die Klägerin, nachdem sie festgestellt hatte, dass keine Eindringlinge vorhanden waren, wegen der Kälte schnell ins Haus zurückgehen wollte. Ein vorsichtiges Zurückgehen hätte den Unfall verhindert, heißt es.
„Denn die Terrasse lag nicht in völliger Finsternis, sondern wurde aus dem Licht im Wohnzimmer beschienen [...], weshalb die Klägerin, der die genaue Stelle der Unebenheiten hinlänglich bekannt war, durch besondere Aufmerksamkeit die – wenn auch nur mit Mühe erkennbaren – Unebenheiten hätte erkennen und dadurch einen Sturz vermeiden können – so wie ihr dies auch bei Betreten der Terrasse gelungen war.“
Keine Verletzung einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht
Auch bestehe kein Anspruch in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Es könne dabei dahinstehen, ob der zwischen der Vermieterin der Klägerin und der Beklagten bestehende Vertrag zur Sanierung der Wohneinheiten eine solche Schutzwirkung zugunsten der Klägerin begründet.
Die Voraussetzungen der Verletzung einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht lägen jedenfalls nicht vor, „da die obigen Ausführungen zu Verkehrssicherungspflichten [...] hier entsprechend gelten“, so die Richter.
Eine Revision wurde nicht zugelassen
(Quelle VersicherungsJournal (12.03.2025)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de