Eine alkoholisierte Person saß nach einem Dorffest am Straßenrand, ein Shuttlebus fuhr ihm bei einer Kurvenfahrt über die Füße und verletzte ihn schwer. Das Oberlandesgericht Schleswig musste sich anschließend mit der Frage befassen, ob dem Geschädigten ein Schmerzensgeld zusteht oder ob er aufgrund seines alkoholisierten Zustandes eine Mitschuld am Unfall trägt.
Im verhandelten Rechtsstreit forderte der Kläger Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall. Er hatte am Vorabend des Unfalls an einer Feier der Landjugend teilgenommen und dabei auch einiges getrunken. Eine Atemalkoholkontrolle ergab einen Alkoholpegel von 1,92 Promille.
Für die Feier war auch ein Shuttlebus eingesetzt, der die Gäste zum Gasthof und wieder zurück bringen sollte. Dessen Fahrer war zum Zeitpunkt des Urteils bereits verstorben. Die Betriebshaftpflicht war über eine spezielle Omnibusversicherung (Kraftomnibus mit mehr als neun Sitzplätzen) abgesichert.
Unfallopfer saß außerhalb der Fahrbahn
Der Kläger behauptete, dass er sich nach der Feier in einen für den Fahrzeugverkehr gesperrten Bereich gesetzt hatte. Auf einem Schachtring sitzend, habe er auf einen Freund gewartet, der ihn abholen wollte. Dabei habe er gedankenversunken auf sein Handy geschaut.
Dann sei der Bus zu dicht an ihm vorbeigefahren und habe die Kurve geschnitten, so dass er nicht mehr habe ausweichen können. Die Hinterräder des Busses seien ihm über die Füße gerollt.
Der Mann, der infolge eines Arbeitsunfalls im Jahr 2009 bereits den rechten Vorfuß verloren hatte, wurde in der Nacht von der Feier mit einem Rettungswagen und Quetschungen an den Füßen in ein Klinikum gebracht. Danach war er sieben Monate arbeitsunfähig krankgeschrieben, bis er seinen Beruf als Maschinenführer wieder aufnehmen konnte.
Busunternehmen und Kfz-Haftpflichtversicherer wollten nicht zahlen
Die beklagte Partei bestritt zunächst, dass es überhaupt zu einem Unfall gekommen war. Der Busfahrer habe von dem Vorfall demnach nichts mitbekommen. Sollte der Unfall jedoch stattgefunden haben, so trage die geschädigte Person ein überwiegendes Mitverschulden, da sie zum Zeitpunkt des Geschehens stark alkoholisiert gewesen sei.
Das Busunternehmen und sein Kfz-Haftpflichtversicherer wollten weder den Schaden noch ein Schmerzensgeld zahlen.
Landgericht Flensburg betonte Sorgfaltspflicht des Busfahrers
Bereits das Landgericht Flensburg hatte in der Vorinstanz mehrere Zeugen befragt und ein unfallchirurgisches Fachgutachten eingeholt, aus dem hervorging, dass die Schilderungen der verunfallten Person glaubhaft sind. So sind auch die Verletzungen typisch für das Überrollen des Fußes.
Zudem hatte das Landgericht dem Unfallopfer ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro zugestanden. Dies rechtfertige die Quetschung beider Vorderfüße durch ein Überrolltrauma.
Was gegen eine Teilschuld des Alkoholisierten
Dabei hoben die Richter folgende Gründe hervor, warum eine Teilschuld des Alkoholisierten zu verneinen sei (2 O 225/20, kein Datum verfügbar):
• Ein Mitverschulden gemäß § 9 StVG, § 254 Absatz 1 BGB sei dem Kläger nicht nachzuweisen. Demnach befand sich der Schachtring, auf dem er saß, nicht auf der Straße, sondern daneben. Indem der Kläger dort saß, nahm er nicht aktiv am Straßenverkehr teil. Er habe auch nicht damit rechnen können, dass sich ihm am Aufenthaltsort ein Bus oder Auto nähere.
• Auch die Alkoholisierung des Klägers begründe in dieser Situation kein Mitverschulden. Es sei kein alkoholbedingtes Verhalten des Klägers zu erkennen, das sich auf den Unfall ausgewirkt haben könnte. Dass er den herannahenden Bus erst spät bemerkt habe, könne auch mit – nicht vorwerfbarer – Unaufmerksamkeit beziehungsweise Ablenkung erklärt werden.
Demgegenüber stellte das Gericht fest, dass der Busfahrer seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Da er von der Feier wusste, hätte er trotz der späten Stunde mit regem Fußgängerverkehr und auch mit angetrunkenen Gästen der Feier rechnen müssen. Das habe ihm gemäß § 1 Absatz 1, 2 StVO ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit und Umsicht abverlangt.
Reiseveranstalter legt Berufung ein
Der Reiseveranstalter und sein Kfz-Haftpflichtversicherer legten Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein. Sie bezweifelten die Glaubwürdigkeit des eingeholten Gutachtens, da der Gutachter sich ausschließlich auf ärztliche Befunde und Zeugenaussagen gestützt habe.
Die Beklagten forderten stattdessen ein sogenanntes Unfallrekonstruktionsgutachten. Zudem argumentierten sie, der Geschädigte habe einen Informationsvorsprung, weil der Busfahrer den Unfall nicht bemerkt habe. Dies erfordere eine detailliertere Rekonstruktion des Vorfalls.
Oberlandesgericht wertet Berufung als aussichtslos
Der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) wies die Berufung gegen das angefochtene Urteil einstimmig ab. In einem Beschluss vom 21. Februar 2024 betonte der Senat, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe (7 U 104/23).
Dabei wandte sich das Argument des Informationsvorsprungs gegen das Unternehmen und seinen Versicherer. Wie das OLG hervorhob, hatte ein Wachmann den Busfahrer nach dem Unfall auf das Geschehen aufmerksam gemacht. Trotzdem entfernte sich der Fahrer vom Unfallort – ein Umstand, der die Rekonstruktion aus Sicht des Gerichts erschwerte.
Alleinige Haftung des beklagten Reiseveranstalters
Im Ergebnis bestehe eine alleinige Haftung des beklagten Reiseveranstalters, so hob das Oberlandesgericht hervor. Er muss ein Schmerzensgeld von 4.000 Euro zahlen. Dabei wirke sich auch die Vorschädigung des rechten Fußes durch Teilamputation nicht schmerzensgeldmindernd aus.
Andere Urteile verdeutlichen jedoch, dass die Schuldfrage auch davon abhängt, wo sich ein alkoholisierter Fußgänger befindet und wie stark er in den Straßenverkehr eingreift. So sprach das Oberlandesgericht Karlsruhe am 6. Juli 2022 einer Frau, die sich schlafend auf die Fahrbahn gelegt hatte und von einem anfahrenden Auto überrollt wurde, eine hälftige Mitschuld zu (14 U 267/21).
(Quelle VersicherungsJournal (29.01.2025)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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