17.03.2025
Bundesgerichtshof: So weit geht die ärztliche Aufklärungspflicht

Ein Arzt muss den Patienten vor einer Operation vollumfänglich mündlich über die Erfolgsaussichten und die Risiken aufklären. Schriftliche Aufklärungsbögen können diese Pflicht nicht ersetzen, auch nicht teilweise. Das entschied der Bundesgerichtshof.
Ein Mann litt unter einer Arthrose mit multiplen freien Gelenkkörpern. Als nach Bewegungsübungen und Belastungsreduktion die Beschwerden nicht nachließen, empfahl der behandelnde Arzt eine Arthroskopie am rechten Sprunggelenk zur Entfernung der freien Gelenkkörper. Von diesen wurden in zwei Operationen 31 Stück entfernt.
Nach dem ersten Eingriff nahmen in dem Fuß die Schmerzen zu, was auf ein Neurom sowie eine Hyperalgesie zurückzuführen war. Es stellte sich heraus, dass es im Rahmen der Arthroskopie intraoperativ zu einer Nervenschädigung gekommen war.
Erwerbsunfähiger Patient fordert Schadenersatz vom Arzt
Weil er durch die Operation erwerbslos, zu 60 Prozent schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig sei, forderte der Patient von dem Unfallchirurgen materiellen und immateriellen Schadensersatz.
Er machte geltend, dass er nicht über die Behandlungsalternativen sowie das Risiko der Arthroskopie, insbesondere nicht über das Risiko der Nervenschädigung, aufgeklärt worden sei. Auch habe der Behandler ihn fehlerhaft nicht darauf hingewiesen, dass die Operation nur relative Erfolgschancen biete und möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten.
Nachdem der Arzt die Forderung und die Vorwürfe zurückgewiesen hat, klagte der Patient. Damit scheiterte er vor dem Landgericht Darmstadt (27 O 275/19) und dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt (22 U 141/22).
Damit war der Bundesgerichtshof (BGH) nicht einverstanden. In der Revision entschieden die Bundesrichter am 5. November 2024 (VI ZR 188/23) zu Gunsten des Klägers.
Das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen hätte der Arzt im Aufklärungsgespräch ausdrücklich benennen müssen, selbst wenn dem Kläger zuvor der Aufklärungsbogen zum Selbststudium überlassen worden sein sollte.
Die mündlich gebotene Vermittlung der Chancen und Risiken der Behandlung „im Großen und Ganzen“ und damit einer allgemeinen Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren verlange, dass diese auch im Gespräch genannt würden, schreiben die Richter.
Das Gesamtbild der gebotenen Aufklärung entstehe nicht durch eine Zusammenfügung eines mündlichen und schriftlichen Teils, sondern es müsse jedenfalls der für die selbstbestimmte Entscheidung notwendige Inhalt mündlich mitgeteilt werden.
Keine hypothetische Einwilligung
Nur so bestehe für den Patienten die ausreichende Gelegenheit für (Rück)fragen im Gespräch und für den Arzt die Möglichkeit, Verständnisprobleme, Fehlvorstellungen, aber auch Ängste zu erkennen und auf sie unmittelbar und individuell zu reagieren.
Der Chirurg hatte sich in den Vorinstanzen auch eine hypothetische Einwilligung geltend gemacht. Auf diese könne sich der Behandler zwar berufen, wenn der Patient auch im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Aber das Oberlandesgericht habe dies lediglich hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer ambulanten Arthroskopie, nicht aber des Risikos von Nervenschäden erörtert.
Daher hob der BGH das Urteil der Vorinstanz hinsichtlich der auf Aufklärungsfehler gestützten Schadenersatzansprüche auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
(Quelle VersicherungsJournal (21.01.2025)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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