Anleger machten nach der Insolvenz einer Gesellschaft Ansprüche dieser Gesellschaft gegen deren Haftpflichtversicherer geltend, allerdings blieb der Anwalt erfolglos. Der Rechtsschutzversicherer forderte von ihm auf Basis eines Anscheinsbeweises Kostenersatz. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch: Die Beurteilung der Erfolgsaussichten sei nicht „ex ante in jeder Hinsicht unzweifelhaft“ gewesen. Das müsse sie aber sein, damit der Anscheinsbeweis greifen kann, wenn eine abschließende höchstrichterliche Klärung in einer Frage fehlt, die für die Erfolgsaussichten maßgeblich ist.
Der vorliegende Fall begann damit, dass sich neun Personen 2004 zwecks Kapitalanlage an der J. GmbH & Co. KG beteiligt hatten. Gründungskommanditistin der J. war die Steuerberatungsgesellschaft T. Sie schlossen mit T. einen Treuhandvertrag: T. hielt für sie, zusätzlich zum eigenen Anteil, weitere Kommanditanteile. Die Beteiligungen der neun entwickelten sich aber nicht wie erwartet.
Nachdem über das Vermögen der T. das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, gab der Insolvenzverwalter den Deckungsanspruch der T. gegen deren Vermögensschadenhaftpflicht- (VSH-) Versicherer wegen möglicher Schadensersatzansprüche der Anleger gegen T. aus der Masse frei.
Der Versicherungsschutz der T. galt (auch) für eine Tätigkeit als „nicht geschäftsführender Treuhänder“. Nicht gedeckt waren Haftpflichtansprüche aus Verstößen im Bereich des unternehmerischen Risikos.
Vorwurf an Rechtsanwalt der Anleger
Die neun beauftragten einen Rechtsanwalt, ein rechtliches Vorgehen aus dem freigegebenen Deckungsanspruch gegen den VSH-Versicherer zu prüfen. Die Rechtsverfolgung blieb jedoch in allen Fällen erfolglos.
Der Rechtsschutzversicherer der neun Anleger verklagte den Rechtsanwalt aus übergegangenem Recht. Der Vorwurf: Er habe Rechtsstreitigkeiten geführt, die von vornherein aussichtslos waren. Über die (fehlenden) Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung habe er nicht pflichtgemäß aufgeklärt.
Die Assekuranz wollte Ersatz für ihre in den Ausgangsverfahren erstatteten Kosten der Rechtsverfolgung nach dem 9. Juli 2013.
Rückblende: Zwei BGH-Urteile von 2013
Warum dieses Datum eine Rolle spielt: In zwei Urteilen vom 9. Juli 2013 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bezüglich anderer Fondsgesellschaften unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne eine Haftung der T. gegenüber Anlegern angenommen.
T., so befand der BGH damals, sei im Verhältnis zu den Anlegern als Altgesellschafterin anzusehen, deren Stellung sich nicht darin erschöpft habe, treuhänderisch Beteiligungen zu halten.
Haftungserleichterungen für rein kapitalistische Anleger kämen ihr deshalb nicht zugute. Sie hafte unabhängig von ihrer Stellung als Treuhandkommanditistin auch als „normale“ Gesellschafterin.
OLG: eindeutig keine Deckung im Ausgangsverfahren
Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage gegen den Anwalt ab. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte der Rechtsschutzversicherer jedoch ganz überwiegend Erfolg. Das OLG sah eine Pflichtverletzung – und die Position des Versicherers von einem Anscheinsbeweis „für ein beratungsgerechtes Verhalten des rechtsschutzversicherten Mandanten“ gestützt.
Der Deckungsanspruch, um den es in den Ausgangsverfahren ging, habe derart eindeutig nicht bestanden, dass keine Erfolgsaussicht für ein Vorgehen gegen den VSH-Versicherer bestanden habe.
Wenn man auf eine Aufklärungspflichtverletzung der T. als „normale“ Gesellschafterin abstelle, dann folge daraus die Haftung für eine rein unternehmerischen Tätigkeit – welche die VSH-Versicherung von vornherein nicht gedeckt habe. Auf die in den Ausgangsverfahren entscheidende Frage, ob die T. (daneben) als geschäftsführender oder nicht geschäftsführender Treuhänder tätig war, komme es deshalb nicht an.
Stellung und Handeln der T. hätten eine nicht unerhebliche Erhöhung des Haftungsrisikos bewirkt. T. habe nicht erwarten dürfen, dass dieses Risiko gedeckt ist.
BGH: Versicherer kann keinen Kostenersatz verlangen
Der BGH stellte dagegen am 16. Mai 2024 (IX ZR 38/23) das Urteil des Landgerichts wieder her. Er erachtete das OLG-Urteil „in einem entscheidenden Punkt“ als falsch.
Das Berufungsgericht hatte befunden, die Versicherungsnehmer hätten sich bei zutreffender Rechtsberatung gegen eine (weitere) Rechtsverfolgung entschieden. Diese Feststellung wertete der BGH als „rechtsfehlerhaft“.
Fehlende höchstrichterliche Klärung
Die Frage des Deckungsanspruchs gegen den VSH-Versicherer der T. wegen Haftungsansprüchen gegenüber Anlegern der J. „war höchstrichterlich nicht abschließend geklärt“, stellte der BGH fest.
In den Urteilen von 2013 sei nur über eine Haftung der T. gegenüber Anlegern entschieden worden, jedoch nicht über den Deckungsanspruch der T. gegenüber dem VSH-Versicherer.
„Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für das Eingreifen eines Anscheinsbeweises bei einwandfrei erteilter Deckungszusage für den Fall einer fehlenden höchstrichterlichen Klärung gegeben.“ Das Berufungsgericht stelle hier zu geringe Anforderungen an das Eingreifen des Anscheinsbeweises.
Bedingungen auslegungsbedürftig
Die Versicherungsbedingungen der VSH-Versicherung seien „im Blick auf die Auswirkungen der Beteiligung der T. als Gründungskommanditistin auf den Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit als Treuhandkommanditistin auslegungsbedürftig“ gewesen, so der BGH weiter.
Das Ergebnis der Auslegung sei nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unzweifelhaft gewesen. „Aus der maßgeblichen Sicht ex ante und unter Berücksichtigung der für die Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen maßgeblichen Grundsätze […] erschien es jedenfalls nicht unvertretbar, von einem Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit der T. als Treuhandkommanditistin auszugehen.“
Auf die ungewissen Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung, die sich auf diese Auslegung stützt, habe der Anwalt hinweisen müssen. „Eine Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung, die ein Eingreifen des Anscheinsbeweises zur Folge hätte, ergibt sich daraus jedoch nicht.“
(Quelle VersicherungsJournal 24.09.2024)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in
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