Kfz-Haftpflichtversicherer eines Unfallverursachers müssen Werkstatt- und Sachverständigen-Rechnungen ungekürzt bezahlen. Sollten die Versicherer Anlass für Rechnungskürzungen sehen, müssen sie sich direkt an Werkstatt und Gutachter wenden. Dies hat der BGH in zwei Urteilen entschieden. Die Stiftung Warentest zeigt in einem Bericht, welche Auswirkungen die Urteile auf fünf gängige Kürzungsargumente von Autoversicherern haben.
Die Stiftung Warentest stellt in dem Beitrag „Wenn Versicherer kürzen wollen“ fünf Argumente von Kfz-Versicherern vor, mit denen oftmals versucht wird, Unfallgeschädigten die Werkstattrechnungen zu kürzen. Fast nie sei dies jedoch rechtens, heißt es. Der Bericht ist in der Finanztest 9/2024- Ausgabe veröffentlicht.
Als Beispiel dient ein Fall, bei dem die VDK Versicherung der Kraftfahrt, Zweigniederlassung der Signal Iduna Allgemeine Versicherung AG, einer Unfallgeschädigten nur gut die Hälfte der Schadensumme in Höhe von insgesamt 21.000 Euro zahlen wollte.
Die Rechtslage für Menschen, die unverschuldet in einen Autounfall verwickelt wurden, hat sich erheblich geklärt und verbessert.
Stiftung Warentest
BGH konkretisierte Rechtsprechung
Die Tester weisen darauf hin, dass sich seit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zum Werkstattrisiko am 16. Januar dieses Jahres „die Rechtslage für Menschen, die unverschuldet in einen Autounfall verwickelt wurden, erheblich geklärt und verbessert“ hat.
Die Schadenregulierung sollte demnach wie folgt vonstattengehen: „Ein Unfallgeschädigter kann Schaden und Reparaturbedarf an seinem Wagen von einem Sachverständigen begutachten lassen. Auf Basis dieses Gutachtens kann er das Auto reparieren lassen. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers muss die Werkstattrechnung ungekürzt bezahlen“, wird berichtet.
Sollte der Versicherer Anlass für Rechnungskürzungen sehen, lasse er sich vom Geschädigten eine Abtretungserklärung unterschreiben und trage den Streit dann direkt mit Gutachter und Werkstatt aus.
Wahl des Reparaturbetriebs
Ein gängiges Kürzungsargument der Assekuranz lautet den Verbraucherschützern zufolge: „Eine freie Werkstatt hätte die Reparatur günstiger erledigt“. Hintergrund hierfür ist, dass freie Werkstätten oft niedrigere Preise aufrufen als Markenwerkstätten.
Abzüge aus diesem Grund sind jedoch nicht zulässig. Dies haben Urteile des Landgerichts Bonn (17 O 102/23) und des Landgerichts Saarbrücken (13 S 38/23) gezeigt. „Die beiden Landgerichte argumentieren im Sinne des BGH, auch wenn dieser die freien Werkstätten nicht ausdrücklich erwähnt“, schreiben die Tester.
„Wenn eine Geschädigte ihr Auto reparieren lasse, dürfe sie den Reparaturbetrieb frei wählen. Das sei selbst dann so, wenn der Versicherer sie wie in Stauders Fall vor Beginn der Reparaturarbeiten auf eine günstigere Werkstatt aufmerksam gemacht habe“, wird aus dem Bonner Urteil zitiert.
Geschädigte ohne Expertenwissen dürfen darauf vertrauen, dass Gutachter die erforderlichen Reparaturarbeiten korrekt auflisten und dass Werkstätten ordentlich arbeiten und abrechnen.
Stiftung Warentest
Höhe der Lackierkosten
„Die Neulackierung war in diesem Umfang nicht nötig“, ist ein weiteres häufiges Argument, um Zahlungen zu verweigern. Besonders bei den Kosten für die Beilackierung, also für die Farbangleichung zwischen reparierten und nicht reparierten Karosseriestellen, machen die Versicherer gerne Abstriche.
Sind die Arbeiten jedoch vom Gutachter für notwendig erachtet worden, haben sie schlechte Karten. Denn hier kommt die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Werkstattrisiko ins Spiel, die laut Stiftung Warentest besagt: „Geschädigte ohne Expertenwissen dürfen darauf vertrauen, dass Gutachter die erforderlichen Reparaturarbeiten korrekt auflisten und dass Werkstätten ordentlich arbeiten und abrechnen.“
Würden die Gesellschaften vermuten, dass Werkstätten unnötige Arbeiten abgerechnet haben, dürften sie Geschädigten trotzdem nicht die Zahlung des Schadenersatzes kürzen, heißt es. Den Streit um solche Positionen müssten sie direkt mit der Werkstatt austragen.
Fahrt zum Lackierer
Nicht unüblich ist auch das Kürzungsargument: „Verbringungskosten zum Lackieren zahlen wir nicht.“ Mitunter würden die Versicherer einfach bestreiten, dass eine Fahrt in eine Lackiererei stattgefunden habe, so die Tester.
Der BGH habe allerdings im Januar klargestellt, dass ein Versicherer auch dann erst einmal zahlen müsse, wenn strittig sei, ob überhaupt abrechenbare Arbeiten stattgefunden haben (VI ZR 266/22) (VersicherungsJournal Medienspiegel 17.1.2024). So hätten schon viele Amtsgerichte in den vergangenen Jahren geurteilt, beispielsweise das Amtsgericht Coburg (11 C 1316/19), wird berichtet.
Den Ausführungen zufolge zieht auch die Begründung nicht, der Lackierbetrieb stelle der befreundeten Werkstatt doch gar keine Verbringungskosten in Rechnung. Versicherungs-Gesellschaften dürften dem Geschädigten die vollständige Bezahlung der Werkstattrechnung so nicht verweigern, heißt es. Beispielhaft wird ein Urteil des Amtsgerichts Regensburg (8 C 78/18) genannt.
Kosten für den Sachverständigen
Finanztest September 2024 (Bild: Stiftung Warentest)
„Das Gutachten ist zu teuer, daher kürzen wir“, sagen ebenfalls oft Versicherungs-Gesellschaften. Stiftung Warentest verweist darauf, dass sich Unfallgeschädigte einen Sachverständigen zur Schadenbegutachtung nehmen dürfen, sofern nicht nur ein Bagatellschaden von maximal 1.000 Euro vorliegt.
Die Tester raten sogar dazu, denn beim Schadenersatz gehe es um mehr als nur um die Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit eines Autos, beispielsweise auch um den Umfang der Wertminderung. Nach ihren Angaben hat der BGH im März entschieden (VI ZR 280/22), dass für Sachverständigenkosten die gleichen Grundsätze anzuwenden sind wie für Werkstattkosten (18.4.2024).
Der Geschädigte müsse den Sachverständigen nicht per Vorkasse bezahlen. Nach der Reparatur könne er beim gegnerischen Versicherer auch die Gutachterrechnung einreichen und die Bezahlung direkt an den Sachverständigen verlangen. Das Versicherungs-Unternehmen müsse die Rechnung vollständig zahlen.
Mit einer Ausnahme: Wenn das Honorar laut BGH „erkennbar deutlich überhöht“ ist, kann die volle Bezahlung der Gutachterkosten abgelehnt werden. Hier wird angeraten, vorab einen Blick auf die Honorartabelle des Bundesverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. zu werfen.
Abschleppen in Heimatwerkstatt
Mit dem Kürzungsargument „Abschleppen in eine nähere Werkstatt wäre billiger“ kommen die Autoversicherer zuletzt ebenfalls immer seltener durch. Der BGH habe sich zwar zu diesem Punkt in seinen Urteilen von Januar und März nicht geäußert, berichten die Verbraucherschützer.
Jedoch würden viele Amtsgerichte bei solchen Kürzungen geschädigtenfreundlich urteilen. So habe zum Beispiel das Amtsgericht Rosenheim entschieden, dass die Kosten für das Abschleppen eines Unfallautos in die über 100 Kilometer entfernte Heimatwerkstatt ungekürzt zu erstatten sind, wenn der Wagen zuvor bei Reparaturen und Wartungen immer dorthin gebracht wurde (8 C 90/17).
Bezugsquelle
Der Beitrag „Wenn Versicherer kürzen wollen“ lässt sich auf der Internetseite der Stiftung Warentest für 4,90 Euro freischalten.
Das gesamte Heft Finanztest 9/2024 ist im Onlineshop für 6,99 Euro als Download zu erwerben. Die Print-Ausgabe kann an der gleichen Stelle für 7,40 Euro angefordert werden.
(Quelle VersicherungsJournal 26.08.2024)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in