Gesetzliche Krankenversicherer sind dazu verpflichtet, transsexuellen Versicherten nach einer Geschlechtsumwandlung von Frau zu Mann mit einem Hilfsmittel zu versorgen, mit welchem sie den Geschlechtsverkehr ausüben können. Das hat das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 21. Februar 2023 (S 14 KR 136/22) entschieden.
Der mit den sekundären Geschlechtsmerkmalen einer Frau geborene Kläger hatte sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Dazu hatte er sich, finanziell unterstützt von seinem gesetzlichen Krankenversicherer, seine Brüste entfernen lassen. Außerdem wurde der Personenstand geändert.
Einer Angleichung seiner Genitalien hatte er sich jedoch noch nicht unterzogen. Um mit seiner Partnerin Geschlechtsverkehr ausüben zu können, beantragte er bei seiner Krankenkasse eine Penis-Hoden-Epithese.
Das Hilfsmittel sei eine Penisnachbildung aus Silikon, die einem natürlichen Penis sehr ähnlich sei. Sie würden individuell angefertigt und angepasst. Die Prothese sei zusätzlich so konstruiert, dass es die Klitoris des Anwenders stimuliere.
Krankenkasse lässt Gutachten erstellen
Nach Einholen eines Gutachtens durch den Medizinischen Dienst lehnte es der Krankenversicherer ab, die Kosten zu übernehmen. Das begründete er damit, dass die fehlende Penetrationsfähigkeit durch den nicht vorhandenen Penis keinen Leistungsanspruch im Sinne der Hilfsmittelversorgung rechtfertige.
Denn ein Dildo oder ein Strap-on würde die gleiche Funktion erfüllen wie eine Epithese mit Erektionsfunktion. Im Übrigen entspreche das vorhandene intakte weibliche Genital weder einer Krankheit noch einer Behinderung oder Entstellung.
Dem hielt der Kläger entgegen, dass das von ihm begehrte Hilfsmittel vor allem zur Linderung seines psychischen Drucks erforderlich sei. Außerdem sei eine Epithese im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherer gelistet. Die Krankenkasse sei daher zur Leistung verpflichtet.
Gericht stellt sich auf Seiten des Transmanns
Dem schloss sich das Marburger Sozialgericht an. Es gab der Klage des Mannes statt. Die Richter waren davon überzeugt, dass bei dem Kläger eine Frau-zu-Mann-Transidentität und damit eine psychische Krankheit im Rechtssinne vorliegt. Diese werde auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als solche anerkannt.
Personen mit einer Transidentität würden in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein leben, einem Geschlecht anzugehören, dem sie zum Zeitpunkt der Geburt rechtlich nicht zugeordnet wurden. Das sei dem Grund nach behandlungsbedürftig.
Ziel einer solchen Behandlung sei es, den Leidensdruck der Betroffenen zu lindern. Das gelte auch für den Körperkontakt zum anderen Geschlecht. Das von dem Kläger begehrte Hilfsmittel diene folglich dazu, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern.
Es handele sich folglich um ein geeignetes Hilfsmittel, um den psychischen Leidensdruck des Mannes erheblich zu lindern. Die Krankenkasse sei daher zur Zahlung einer solchen verpflichtet.
(Quelle VersicherungsJournal 24.08.2023)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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