Die nach dem Übereinkommen von Montreal vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung von Fluggesellschaften erstreckt sich auch auf eine unzureichende medizinische Erstversorgung eines verletzten Fluggastes an Bord. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 6. Juli 2023 entschieden (C-510/21).
Ein Fluggast war an Bord eines Flugzeugs durch eine von einem Servierwagen stürzende Kanne mit heißen Kaffee verbrüht worden war. Er erhielt zwar durch das Flugpersonal umgehend eine medizinische Erstversorgung. Die war jedoch so unzureichend, dass sich die Folgen der Verbrühung verschlimmerten.
Medizinische Erstversorgung führte zu Verschlimmerungen
Der Fall landete vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Hier ging es darum, ob die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord, die zu einer Verschlimmerung der durch einen Unfall im Sinne des Montrealer Übereinkommens verursachten Körperverletzung führt, als Teil dieses Unfalls anzusehen ist.
Genau das wurde von der Fluggesellschaft bestritten. Sie wollte den Reisenden daher nur mit einer geringen Entschädigung abfinden.
Bündel von Ereignissen
Zu Unrecht, urteilte das Gericht. Ein Schadenseintritt könne dann nicht auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt werden, wenn sich der Schaden als Folge eines Bündels von Ereignissen darstelle, die sich einander gegenseitig bedingten.
„Im vorliegenden Fall besteht in Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Kontinuität zwischen dem Umfallen der Kaffeekanne und der medizinischen Erstversorgung des dadurch verletzten Reisenden unbestreitbar ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Umfallen und der Verschlimmerung der dadurch verursachten Körperverletzung aufgrund der unzureichenden medizinischen Erstversorgung“, so das Gericht.
Zum Schutz der Verbraucherinteressen
Diese Auslegung stehe im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens von Montreal. Denn das sehe eine Regelung der verschuldens-unabhängigen Haftung von Fluggesellschaften vor. Ziel sei es, den Schutz der Verbraucherinteressen sicherzustellen und zugleich auf einen gerechten Ausgleich mit den Interessen der Fluggesellschaften zu achten.
Der EuGH hatte im Dezember 2019 bereits in einem ähnlichen Fall entschieden. Die Haftung einer Fluggesellschaft für Verbrühungen, die entstehen, weil während eines Fluges aus ungeklärten Gründen ein Heißgetränk umkippt, nicht voraussetzt, dass sich dabei ein flugspezifisches Risiko realisiert hat, heißt es in diesem Urteil
(Quelle VersicherungsJournal 10.07.2023)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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