24.01.2022
Krankenhaus: Fehlende Klingel erweist sich als grober Behandlungsfehler

Es stellt einen groben Behandlungsfehler dar, wenn am Krankenhausbett einer Geburtsstation keine Klingel zur Verfügung steht, mit der die Mutter eines neugeborenen Kindes im Notfall Hilfe herbeiholen kann. Das hat das Oberlandesgericht Celle mit einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil vom 20. September 2021 entschieden (1 U 32/20).
Nach einer im Wesentlichen komplikationslosen Klinikgeburt hatte die Hebamme der Mutter noch im Kreissaal die Gelegenheit gegeben, einen eine erste Bindung stiftenden Kontakt zum Neugeborenen aufzunehmen. Dazu ließ sie die beiden allein.
Die Maßnahme endete in diesem Fall in einer Katastrophe. Denn als ihr Kind kurze Zeit später ungewöhnlich ruhig war und die Frau Hilfe herbeiholen wollte, stellte sie fest, dass sich im Bereich des Bettes keine Klingel befand.
Da die Mutter nicht aufstehen konnte, fiel der Hebamme der Zustand des Kindes erst 15 Minuten später auf. Zu diesem Zeitpunkt litt es jedoch schon unter einer schweren Atemdepression. Dadurch erlitt das bei seiner Geburt mutmaßlich noch gesunde Baby trotz einer unverzüglichen Beatmung und einer Reanimation eine schwere Gehirnschädigung.
Möglichkeit zu alarmieren muss gegeben sein
Vertreten durch seine Eltern verklagte das Kind daher das Krankenhaus und die Hebamme auf Zahlung eines Schmerzensgelds sowie den Ersatz materieller Schäden. Mit Erfolg: Sowohl das in erster Instanz mit dem Fall befasste Landgericht Hannover, als auch das von den Beklagten in Berufung angerufene Celler Oberlandesgericht gaben der Klage statt.
Nach Überzeugung der Richter muss die Mutter eines Neugeborenen die uneingeschränkte Chance haben, im Fall einer denkbaren Notsituation eine Hebamme zu rufen, ohne aus ihrem Bett aufstehen zu müssen. In einer derartigen Situation sei es den Frauen nämlich vielfach nicht möglich, selbstständig ihr Bett zu verlassen.
Diese Tatsache erfordere es, dass es möglich sein muss, Alarm zu schlagen – zum Beispiel durch eine in Reichweite des Bettes befindliche Klingel.
Grober Behandlungsfehler durch Arzt und Hebamme
Ein solches Instrument wie in dem entschiedenen Fall nicht zur Verfügung zu stellen, stellt nach Ansicht beider Instanzen einen groben Behandlungsfehler dar, der einem Arzt beziehungsweise einer Hebamme nicht unterlaufen darf.
Das Krankenhaus und die Hebamme haften daher uneingeschränkt gemeinsam. Davon sei unabhängig, dass nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, ob eine frühere Alarmierung die Hirnschädigung tatsächlich verhindert hätte oder diese geringer ausgefallen wäre.
Der Fall ist noch nicht endgültig entschieden. Das Oberlandesgericht hat zwar keine Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Dort haben die Beklagten jedoch eine Nichtzulassungs-Beschwerde eingereicht.
(Quelle VersicherungsJournal 29.11.2021)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de