03.05.2021
Wenn eine Kette für ein Kind zur Stolperfalle wird

Einer Gemeinde kann nicht vorgeworfen werden, ihre Verkehrssicherungs-Pflicht verletzt zu haben, wenn sie einen Gehweg mit einer zwischen Metallpfosten gespannten, erkennbaren Kette von einer stark befahrenen Straße abtrennt. Dies hat das Oberlandesgericht Nürnberg mit einem Urteil vom 18. November 2020 entschieden (4 U 47/20).
Dem Urteil lag der Fall eines seinerzeit achtjährigen Jungen zugrunde. Er war im Oktober 2016 in Begleitung seines Vaters bei Dunkelheit auf einem Gehweg entlang einer viel befahrenen Straße unterwegs gewesen.
Als er das Auto seines Vaters auf einem gegenüberliegenden Parkplatz entdeckt hatte, wollte er über die Straße rennen, um zum Pkw zu gelangen. Zuvor hatte er sich vergewissert, dass keine Fahrzeuge kamen.
Dabei hatte das Kind eine Kette übersehen, die zwischen Pfosten entlang des Gehwegs gespannt gewesen war. Es war über das Hindernis gestürzt und hatte sich schwer verletzt. Der Verunglückte musste mehrmals operiert werden und leidet bis heute unter den Folgen des Unfalls.
Teilerfolg in erster Instanz
Für den machte der Junge, vertreten durch seinen Vater, die Gemeinde verantwortlich. Denn die Kette habe in etwa die gleiche Farbe wie der Straßenbelag gehabt. Sie sei daher in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen. Die Gemeinde hätte die Kette folglich entweder markieren oder sie zum Beispiel mithilfe von Straßenlaternen ausreichend beleuchten müssen. Beides sei nicht geschehen.
Mit seiner Klage auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld erzielte das Kind zunächst einen Teilerfolg. Das in erster Instanz mit dem Fall befasste Landgericht Nürnberg-Fürth hielt sie dem Grunde nach für zum Teil berechtigt. Denn die Gemeinde habe nicht dafür gesorgt, dass die Kette ausreichend wahrgenommen werden kann.
Der Junge müsse sich aber ein hälftiges Mitverschulden anrechnen lassen. Denn als er das Auto seines Vaters wahrgenommen habe, sei er offenkundig losgerannt, ohne seine Geschwindigkeit an die örtlichen Verhältnisse anzupassen. Nur so sei die Schwere seiner Verletzung zu erklären. Den Mitverschuldensanteil des Kindes bewertete das Landgericht mit 50 Prozent (VersicherungsJournal 29.1.2020).
Unfallstelle bei einem Ortstermin untersucht
Dem wollte sich das in zweiter Instanz mit dem Fall befasste Nürnberger Oberlandesgericht nicht anschließen. Es hielt die Berufung der Gemeinde für gerechtfertigt und wies die Klage als unbegründet zurück.
Um den Sachverhalt zu klären, haben die Richter einen Ortstermin, bei dem die gleichen Lichtverhältnisse herrschten wie zum Zeitpunkt des Unfalls, durchführen lassen. Dabei wurde festgestellt, dass die Kette zwischen den Metallpfosten in einer Höhe von 76 bis 93 Zentimeter durchhängt.
Sie dient dazu, den Fußweg zu der stark befahrenen Straße abzusperren, und soll den Durchgang nur an besonders markierten Stellen ermöglichen. Die Kette sei auf dem 2,20 Meter breiten Gehweg mehr als einen halben Meter von der Bordsteinkante entfernt angebracht.
Gemeinde hat ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt
Das Hindernis konnte nach Überzeugung der Richter bei gebotener Aufmerksamkeit nicht übersehen werden – dies auch bei den Lichtverhältnissen, die zum Unfallzeitpunkt geherrscht hatten, und unter Berücksichtigung der Körpergröße des Kindes. Die Gemeinde habe daher ihre Verkehrssicherungs-Pflicht nicht verletzt. Denn diese sei nicht grenzenlos.
Die Kommunen müssten nämlich nur solche Gefahren beseitigen beziehungsweise gegebenenfalls vor ihnen warnen, die ein hinreichend aufmerksamer Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann. Von einer derartigen Gefahrenstelle könne in dem entschiedenen Fall nicht ausgegangen werden.
Unfall selbst verschuldet
Jeder Passant habe erkennen können, an welchen Stellen man die Straße überqueren soll. Dafür sorgten deutlich markierte rot-weiße Metallpfosten und der an einigen Stellen abgesenkte Gehweg.
Die Gemeinde sei auch nicht dazu verpflichtet gewesen, den Fußweg so auszuleuchten, dass es keine dunklen Stellen mehr gab. Es sei vielmehr Sache der Fußgänger, sich bei Dunkelheit so vorsichtig fortzubewegen, dass sie eventuelle Hindernisse rechtzeitig erkennen können.
Bei schlechter Sicht müssten sie gegebenenfalls ihre Geschwindigkeit reduzieren. Das habe der losrennende Junge offenkundig nicht beachtet. Er habe seinen Unfall daher ausschließlich selbst verschuldet.
(Quelle VersicherungsJournal (08.02.2021)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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