30.04.2018
Künstliche Ernährung: Ein besonderer Fall der Arzthaftung

Wurde das Leiden eines todgeweihten Menschen unnötig verlängert, weil der behandelnde Arzt den Betreuer des Patienten nicht ausreichend aufgeklärt hat, können die Erben unter Umständen einen Anspruch auf Zahlung eines vererbten Schmerzensgeldanspruchs haben. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 21. Dezember 2017 hervor (1 U 454/17).
Der demente und deswegen unter Betreuung stehende Vater des Klägers war tödlich erkrankt. Er wurde in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod künstlich mittels einer PEG-Sonde ernährt.
Der Sohn des Verstorbenen war der Auffassung, dass sein Vater, wäre er handlungsfähig gewesen, niemals die Zustimmung zu einer derartigen Behandlung erteilt hätte. Diese habe ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Dementen geführt, ohne dass eine Aussicht auf Besserung bestanden habe. Der Vater habe nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen und schwer gelitten. Am Leben habe er nicht mehr teilnehmen können.
Sinnlose Verlängerung des Leidens
Der behandelnde Arzt sei daher dazu verpflichtet gewesen, das Sterben des Erkrankten unter palliativmedizinscher Betreuung zuzulassen und die künstliche Ernährung zu beenden. Weil der Arzt nicht entsprechend gehandelt habe, habe der Vater ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 100.000 Euro zugestanden. Dieser sei auf ihn, den Kläger, vererbt worden.
Mit seiner gegen den Arzt gerichteten Klage hatte der Sohn des Verstorbenen Erfolg. Nach Meinung des Münchener Oberlandesgerichts war der Arzt zwar nicht dazu verpflichtet, die künstliche Ernährung des Verstorbenen von sich aus abzubrechen. Dem Mediziner sei dennoch eine Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag vorzuwerfen.
Berechtigte Forderung
„Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten war er nämlich dazu verpflichtet, die Fortsetzung der Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern“, so das Gericht.
Eine derartige vertiefende Erörterung mit dem Betreuer des Verstorbenen habe jedoch auch nach Angaben des Arztes nicht stattgefunden. Es konnte zwar trotz einer umfassenden Beweisaufnahme nicht geklärt werden, ob sich der Betreuer bei einer ausreichenden Aufklärung für oder gegen eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung entschieden hätte. Diese Beweisschwierigkeiten gehen nach Ansicht des Gerichts jedoch zulasten des beklagten Arztes.
Anspruch uneingeschränkt vererblich
Die Verletzung des Integritätsinteresses eines Patienten, dem für längere Zeit ohne wirksame Einwilligung mittels einer Magensonde Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird, könne für sich betrachtet einen Schmerzensgeldanspruch auslösen. Daher ist die Klage des Sohnes des Verstorbenen nach Meinung des Gerichts gerechtfertigt.
Denn ein Anspruch auf Schmerzensgeld sei uneingeschränkt vererblich. Der Anspruch konnte daher von dem Kläger als Alleinerben geltend gemacht werden.
(Quelle VersicherungsJournal 30.01.2018)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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