Besteht nur eine relative Notwendigkeit zur Durchführung eines operativen Eingriffs, so muss der Patient in aller Ausführlichkeit über eine bestehende Alternative einer konservativen Behandlungsmöglichkeit aufgeklärt werden. Das geht aus einem kürzlich veröffentlichten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. Dezember 2017 hervor (26 U 3/14).
Der im Jahr 1951 geborene Kläger litt seit etlichen Jahren unter Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Er suchte deswegen im Juli 2010 eine Klinik auf.
Nach der OP wurde es schlimmer
Dort wurde im Rahmen eines stationären Aufenthalts und nach einer mehrtägigen konservativen Behandlung ein CT erstellt. Dabei stellte sich heraus, dass der Wirbelkanal der Lendenwirbelsäule des Klägers verengt war. Der behandelnde Belegarzt riet ihm daher zu einem operativen Eingriff. Über die bestehende Alternative zu der konservativen Behandlung klärte der Arzt den Kläger nicht auf.
Kurz darauf wurde die Operation durchgeführt. Die war allerdings nicht so erfolgreich, wie erhofft. Denn der Kläger litt danach unter neurologischen Ausfällen seiner Beine mit der Folge, dass er nicht mehr dazu in der Lage war, ein gestrecktes Bein anzuheben.
Betroffen waren auch seine Füße, die Lähmungserscheinungen aufwiesen. Es stellten sich außerdem Störungen der Sexualfunktion sowie Blasenentleerungs-Störungen ein – lauter Symptome, unter denen der Kläger vor der Operation nachweislich nicht gelitten hatte. Weitere Operationen bewirkten keine nachhaltigen Verbesserungen. Einzig die Blasenentleerungs-Störungen bildeten sich zurück. Der Kläger war jedoch fortan auf einen Rollstuhl angewiesen mit der Folge, dass sich eine depressive Störung einstellte.
Unzureichende Aufklärung?
In seiner gegen den Belegarzt eingereichten Schadenersatz- und Schmerzensgeld-Klage warf er ihm eine unzureichende Aufklärung vor. Denn es habe offenbar eine konservative Behandlungsmöglichkeit bestanden.
Die sei jedoch nicht Gegenstand des Aufklärungsgesprächs gewesen. Gesprochen habe der Arzt vielmehr nur über die Operation. Die nach dem operativen Eingriff eingetretenen gesundheitlichen Störungen seien im Übrigen ganz offenkundig auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen. Nach einer ausführlichen Beweisaufnahme gab das Hammer Oberlandesgericht der Klage sowohl dem Grunde als auch teilweise der Höhe nach statt.
Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass für den operativen Eingriff mangels neurologischer Ausfallerscheinungen nur eine relative Notwendigkeit bestand. Alternativ hätte die bis dahin durchgeführte konservative Behandlung fortgesetzt werden können. Darüber sei der Kläger von dem beklagten Arzt jedoch nicht aufgeklärt worden.
Primär Sache des Arztes, aber…
Nach der Rechtsprechung sei die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes. Gebe es aber, wie im vorliegenden Fall, mehrere Behandlungs-Möglichkeiten, unter denen der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe, so müsse ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle.
„Je weniger dringlich sich ein Eingriff nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstellt, desto weitgehender ist das Maß und der Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht“, erörterte das Gericht seine Entscheidung.
Bei einer wie im Fall des Klägers nur relativ indizierten Operation müsse folglich regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit und die Folgen einer abwartenden Behandlung oder gar die eines Nichtstuns erfolgen.
Echte Alternative
Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der durchgeführten Operation eine weiterhin konservative Behandlungsmethode eine echte Alternative dargestellt hätte. Dass der beklagte Arzt den Kläger darüber aufgeklärt hatte, konnte er nicht nachweisen. Auch ein Nachweis, dass sich der Kläger so oder so für eine Operation entschieden hätte, war dem Arzt nicht möglich.
Er hat daher nicht nur den materiellen Schaden des Klägers zu ersetzen, sondern muss ihm auch ein Schmerzensgeld bezahlen. Die von dem Kläger geforderten 200.000 Euro hielten die Richter allerdings für überzogen. Sie gestanden ihm lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 Euro zu.
(Quelle VersicherungsJournal 26.01.2018)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de