24.04.2017
Folgenschwerer Crash auf dem Radweg

Ist auf einem Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich, so muss der schnellere Radler gegebenenfalls darauf verzichten, an dem Vorausfahrenden vorbeizufahren. Das geht aus einem kürzlich bekannt gewordenen Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 30. Mai 2016 hervor (9 U 115/15).

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad Anfang Mai 2014 einen zwei Meter breiten, als Radweg ausgewiesenen Sand- und Schotterweg. Dabei hielt sie eine Fahrlinie von etwa 80 Zentimeter zum rechten Rand des Weges ein.

Als sie der von hinten kommende Beklagte mit seinem Fahrrad überholen wollte, berührte er die Klägerin mit seiner rechten Schulter. Sie kam dadurch zu Fall und zog sich eine komplizierte Oberschenkelfraktur zu, welche zwei Operationen erforderlich machte.
Unzureichender Sicherheitsabstand?

In ihrer gegen den Beklagten eingereichten Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage machte die Klägerin ausschließlich diesen für den Unfall verantwortlich. Hätte er, was auf dem zwei Meter breiten Radweg durchaus möglich gewesen wäre, beim Überholen einen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten, so wäre es zu dem durch die Berührung verursachten Sturz nicht gekommen.

Der Beklagte hingegen behauptete, dass der Unfall in erster Linie darauf zurückzuführen sei, dass die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe. Ihre Fahrweise sei außerdem schwankend gewesen. Beides habe den Sicherheitsabstand beim Überholen verkürzt.

Die Argumente des Beklagten vermochten jedoch weder das in erster Instanz mit dem Fall befasste Landgericht Karlsruhe noch das von diesem in Berufung angerufene Oberlandesgericht der Stadt zu überzeugen. Die Richter beider Gerichte gaben der Klage der verletzten Radlerin statt.
Verstoß gegen Straßenverkehrsordnung

Die Richter schlossen sich dem Vorwurf der Klägerin an, dass es zu dem Unfall nur deswegen gekommen sei, weil der Kläger bei dem Überholvorgang keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat. Der Abstand der Fahrlinien der Fahrräder habe zwar etwa 32 Zentimeter betragen. Unter Berücksichtigung der Ellenbogenbreite der Beteiligten müsse jedoch von einem Abstand beim Überholen von nur zehn Zentimetern ausgegangen werden. Das sei eindeutig zu gering gewesen.

Die Verpflichtung von Verkehrsteilnehmern gemäß § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO beim Überholen einen Sicherheitsabstand einzuhalten, der eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließt, gelte im Übrigen auch im Verhältnis zwischen zwei Radfahrern.

Es gebe zwar keine festen Regeln, welcher Abstand ausreichend ist. Ein überholender Radler müsse aber mit mehr oder weniger unvermeidbaren Schwankungen des Vorausfahrenden rechnen. Das gelte insbesondere auf unebenen Sand-Schotter-Wegen.

„Außerdem muss ein überholender Radfahrer berücksichtigen, dass der überholte Radfahrer – anders als bei einem überholenden Kraftfahrzeug – nicht ausreichend durch Geräusche des sich von rückwärts nähernden Fahrrads vorgewarnt wird“, so das Gericht.
Kein Mitverschulden

Vor dem Überholvorgang gab es auch nach Aussage des Beklagten keine Verständigung zwischen den Parteien, aus welcher dieser hätte entnehmen können, dass ihn die Klägerin wahrgenommen hat. Deshalb hätte er nach Ansicht der Richter auf jeden Fall einen größeren Seitenabstand einhalten oder auf ein Überholen verzichten müssen.

Denn bei Radwegen mit einer begrenzten Breite sei es oft sinnvoll und in der Praxis auch vielfach üblich, erst dann zu überholen, wenn der Überholer sicher ist, dass der andere Radler sein Fahrverhalten auf den Überholvorgang einrichtet.

Den Vorwurf des Beklagten, dass die Klägerin den Unfall zumindest mitverschuldet habe, indem sie gegen das Rechtsfahrgebot verstieß, hielten die Richter für unbegründet. Der behauptete Abstand von 80 Zentimeter zum rechten Rand des Radweges sei angesichts der Unebenheiten und der üblichen Schwankungen von Radfahrern durchaus angemessen gewesen.

(Quelle VersicherungsJournal 26.01.2017)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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