05.09.2016
Wenn Nachlässigkeit die Sehfähigkeit ruiniert

Verliert ein Patient einen Teil seiner Sehfähigkeit, weil es sein Augenarzt versäumt hat, den Augeninnendruck zu überprüfen, so hat er einen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit einem am Dienstag veröffentlichten Urteil vom 10. Mai 2016 entschieden (26 U 107/15).
Die in manchen Augenarztpraxen offenbar standardmäßig angebotene Messung des Augeninnendrucks ist nach einer Meldung des Norddeutschen Rundfunks aus dem Jahr 2015 auch unter Fachleuten umstritten.
Die Messung dient zur Früherkennung des Grünen Stars, eine Erkrankung, die zur Erblindung führen kann. Allerdings raten Experten insbesondere Patienten ab dem 40. Lebensjahr dazu, sich regelmäßig untersuchen zu lassen.
Dramatische Verschlechterung der Sehfähigkeit
In dem vom Hammer Oberlandesgericht entschiedenen Fall ging es um eine wesentlich jüngeren Frau. Die heute 19-Jährige litt seit ihrem zehnten Lebensjahr an Diabetes mellitus, einer Krankheit, die das Risiko, an Grünem Star zu erkranken, deutlich erhöht. Weil sich ihre Sehleistung fortschreitend verschlechterte, suchte sie die Augenarztpraxis der Beklagten auf.
Die führte zwar die bei einer Sehschwäche üblichen Untersuchungen durch. Die Ärztin versäumte es jedoch, den Augeninnendruck der Klägerin zu überprüfen. Das geschah erst in einer Augenklinik, in welche die Frau als Notfall aufgenommen wurde. Dort wurde festgestellt, dass sie an einem fortgeschrittenen Grünen Star erkrankt war.
Trotz mehrerer operativer Eingriffe verschlechterte sich die Sehfähigkeit der Klägerin von anfangs über 60 Prozent auf einen Wert unterhalb von 30 Prozent. Ihr wurde außerdem eröffnet, dass sie auf längere Sicht möglicherweise erblinden wird.
Grober Fehler
Die Augenärztin war sich trotz allem keiner Schuld bewusst. Sie lehnte es daher ab, der Klägerin ein von ihr verlangtes Schmerzensgeld sowie Schadenersatz zu zahlen. Zu Unrecht, urteilten die Richter des Hammer Oberlandesgerichts. Sie gaben der von der 19-Jährigen gegen die Ärztin eingereichten Klage statt.
Beraten durch einen medizinischen Sachverständigen kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Augenärztin angesichts der Diabetes-Erkrankung sowie der sich deutlich verschlechternden Sehfähigkeit der Klägerin dazu verpflichtet gewesen wäre, eine Gesichtsfeldmessung sowie eine Messung des Augeninnendrucks durchzuführen.
Das aber habe die Ärztin versäumt. Sie habe daher einen groben Befunderhebungsfehler begangen. „Durch die verspätete Behandlung ist der noch jungen Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ein adäquates Leben zu führen“, so das Fazit des Gerichts.
80.000 Euro Schmerzensgeld für ein verpfuschtes Leben
Sie sei zum Beispiel bei sportlichen Aktivitäten stark eingeschränkt und könne auch nicht Autofahren. Die Klägerin sei außerdem unabhängig von ihren Neigungen dazu gezwungen, einen Beruf zu ergreifen, der ihrer stark eingeschränkten Sehfähigkeit Rechnung trage. Denn sie benötige einen für ihre geringe Sehkraft speziell eingerichteten Arbeitsplatz.
Nach all dem hielt das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000 Euro für angemessen. Die Augenärztin ist der Klägerin außerdem zum Schadenersatz verpflichtet.
(Quelle VersicherungsJournal 03.06.2016)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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