Ein Radfahrer, der verbotswidrig entgegen der Fahrtrichtung auf dem Bürgersteig fährt und mit einem aus einer Seitenstraße kommenden Fahrzeug, dessen Fahrer keine freie Sicht hat, kollidiert, ist allein für die Unfallfolgen verantwortlich. Das hat das Amtsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 1. Oktober 2015 entschieden (91 C 1333/15).
Der Kläger wollte mit seinem Personenkraftwagen aus einer Seitenstraße kommend in eine Hauptstraße einbiegen, als er mit dem Fahrrad des Beklagten kollidierte.
Haftung aus Betriebsgefahr?
Dieser fuhr entgegen der Fahrtrichtung verbotswidrig auf dem Bürgersteig der Hauptstraße. Doch obwohl ihm nach eigenen Angaben durch ein parkendes Fahrzeug die Sicht in die Einmündung, aus welcher der Kläger kam, verdeckt wurde, fuhr er bedenkenlos weiter.
Der Privathaftpflicht-Versicherer des Beklagten war der Meinung, dass den Autofahrer trotz allem ein Mitverschulden an dem Unfall treffe und er zumindest aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs hafte. Er wollte sich daher lediglich mit einer Quote von 75 Prozent an dessen Aufwendungen beteiligen.
Doch dem wollte sich das Wiesbadener Amtsgericht nicht anschließen. Es gab der Klage des Autofahrers auf Erstattung der restlichen 25 Prozent statt.
Höchst leichtfertig
Nach Ansicht des Gerichts hat der Beklagte durch sein Verhalten in grober Weise gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten im Sinne von § 1 Absatz 2 StVO verstoßen. Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer nämlich so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.
Das Verhalten des Beklagten hielt das Gericht für „höchst leichtfertig“. Denn dieser war als Erwachsener mit seinem Fahrrad nicht nur verkehrswidrig – und das entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung – auf einem Bürgersteig gefahren, sondern hat auch bedenkenlos die Straßeneinmündung überquert.
Betriebsgefahr tritt vollständig zurück
Der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass sich aus der Seitenstraße kommende Fahrzeuge wegen der auch für sie durch das parkende Fahrzeug bestehenden Sichtbehinderung langsam vortasten müssen, um Einsicht in die Hauptstraße zu bekommen. Bevor er die Einmündung überquert, wäre der Beklagte daher dazu verpflichtet gewesen, gegebenenfalls abzusteigen.
Nach Meinung des Gerichts tritt unter den gegebenen Umständen auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Beklagten vollständig zurück, so dass er alleine für die Folgen des Unfalls haftet.
(Quelle VersicherungsJournal 30.05.2016)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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