21.12.2015
Winterreifenpflicht – Rutschige Entscheidung

Die Verpflichtung, Winterreifen zu benutzen, orientiert sich an dem konkreten Tag der Nutzung eines Kraftfahrzeugs und an den in der tatsächlichen Verkehrssituation herrschenden Witterungs- und Straßenverhältnissen. Das hat das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 22. Mai 2015 entschieden (3 C 308/14).
Der Beklagte war Ende Oktober 2012 frühmorgens mit seinem Personenkraftwagen in der Mannheimer Innenstadt unterwegs, als er auf einer Brücke die Kontrolle über sein Auto verlor und frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Beide Autos erlitten Totalschaden. Außerdem wurden die Insassen des entgegenkommenden Personenkraftwagens verletzt.
Vorsätzliche Gefahrerhöhung?
Der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers wollte ihn wegen der dem Unfallgegner gezahlten Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro in Regress nehmen. Sein Argument: Zu dem Unfall sei es nur deswegen gekommen, weil der Beklagte trotz winterlicher Straßenverhältnisse mit Sommerreifen unterwegs war.
Denn durch das Fahren mit Sommerreifen habe er sich einer vorsätzliche oder zumindest grob fahrlässigen Gefahrerhöhung im Sinne von § 23 VVG schuldig gemacht, welche gemäß § 26 VVG zu einer (teilweisen) Leistungsfreiheit führe. Schließlich hätten die Temperaturen an den Tagen vor dem Unfall deutlich im Minusbereich gelegen.
Das wurde vom Mannheimer Amtsgericht auch nicht bestritten. Es wies die Klage gleichwohl als unbegründet zurück.
Fehlender Beweis
Die Benutzung eines Personenkraftwagens mit winteruntauglichen Reifen könne zwar grundsätzlich als Nutzung eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs angesehen werden, wenn die Straßenverhältnisse die Benutzung von Winter- oder M+S-Reifen geböten.
„Eine Gefahrerhöhung kann jedoch nur dann bejaht werden, wenn der Pkw (mit Sommerreifen) bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen längerfristig beziehungsweise für längere Fahrten benutzt wird, wofür der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet ist“, so das Gericht.
In dem entschiedenen Fall war es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar unbestritten, dass bis zwei Tage vor dem Unfall in Mannheim Schnee gelegen hatte. Den Beweis dafür, dass die innerstädtischen Straßen und insbesondere die Unfallstelle am Tag des Unfalls noch durchgehend glatt waren, ist der Versicherer jedoch schuldig geblieben.
Nach Überzeugung des Gerichts herrschte am Unfalltag allenfalls eine partielle Glätte. Von durchgängig winterlichen Straßenverhältnissen, die das Aufziehen von Winterreifen zwingend erforderlich gemacht hätten, könne daher nicht ausgegangen werden. Auch Wetterwarnungen, die gefahrerhöhende Umstände hätten vermuten lassen können, hatte es für den Unfalltag nicht gegeben.
Fehlender Zeitrahmen
Das Gericht hielt daher den Vorwurf des Versicherers, dass der Beklagte den Unfall infolge einer vorsätzlichen Gefahrerhöhung verursacht hatte, für unbegründet. Denn der Gesetzgeber sehe keinen Zeitrahmen vor, in welchem Winter- beziehungsweise M+S-Reifen auf einem Fahrzeug aufgezogen sein müssten.
„Allein die Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Unfalls Temperaturen im Minusbereich vorgelegen haben und zwei Tage vor dem Unfallgeschehen Schnee gefallen war, führt noch nicht zu winterlichen Straßenverhältnissen und damit noch nicht zu einer Winterreifenpflicht, jedenfalls aber nicht zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit, wenn noch keine Reifen gewechselt wurden“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.
Auch eine Leistungsfreiheit beziehungsweise Möglichkeit zur Leistungskürzung aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG) sah das Gericht nicht als gegeben an.
Unabhängig davon hielt es das Gericht für ungeklärt, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug nicht ins Schleudern geraten wäre, wenn er Winterreifen montiert hätte. Der Versicherer hatte daher mit seiner Regressforderung keinen Erfolg.
(Quelle VersicherungsJournal 27.10.2015)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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