16.11.2015
Wer haftet bei Unfällen auf einem Waschstraßengelände?

Bewegt sich ein 11-jähriger Junge bei der Durchführung von Innenreinigungs-Arbeiten am väterlichen Personenkraftwagen auf dem Gelände einer Waschanlage im Rahmen des Üblichen an speziell dafür vorgesehenen Plätzen, so ist ihm kein Mitverschulden anzurechnen, wenn er dabei von einem Auto angefahren wird, dass schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs war. Das hat das Amtsgericht Kassel mit Urteil vom 21. April 2015 entschieden (435 C 5128/12).
Der Kläger war mit seinem Vater zu einer Autowaschanlage gefahren, um ihm bei der Innenreinigung des väterlichen Personenkraftwagens zu helfen. Unmittelbar hinter der Ausfahrt der Waschstraße befanden sich links und rechts schräg angeordnete Parkboxen mit Staubsaugern. Auf diesen Plätzen konnten die Fahrzeuge auch von innen gereinigt werden.
Fuß- und Beinverletzung
Als das Kind eine Abdeckmatte aus dem Kofferraum des Fahrzeugs herausnehmen wollte, trat es zwangsweise einen Schritt zurück. Dabei wurde es von dem Auto des Beklagten erfasst, der in diesem Augenblick mit einer Geschwindigkeit von mindestens zehn km/h aus der Waschstraße fuhr.
Bei dem Zwischenfall erlitt der Kläger eine Fußverletzung sowie eine Schienbeinfraktur. Als er deswegen den Fahrer des Fahrzeugs zur Verantwortung ziehen wollte und Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangte, bestritt dieser, für den Unfall verantwortlich zu sein.
Er war der Meinung, dass sich das Kind die Verletzungen selbst zuzuschreiben habe. Denn es sei, ohne zu schauen, einfach nach hinten auf die Fahrbahn getreten.
Zu schmal
Dieser Argumentation wollte sich das Kassler Amtsgericht nicht anschließen. Es gab der Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage in vollem Umfang statt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die Fahrbahn am Ende der Waschstraße gerade mal 3,20 Meter breit. Bei einer unterstellten Fahrzeugbreite von 1,80 Meter verblieb zu den Parkboxen mit den Staubsaugern insgesamt ein Raum von 1,40 Meter, das heißt bei idealer Teilung von 70 Zentimeter pro Seite.
Dieser Raum reicht nach Ansicht des Gerichts für die typischen Tätigkeiten bei einer Fahrzeuginnenreinigung nicht aus. Das aber hätte auch dem Beklagten bewusst sein müssen. Er hätte die Gasse nach Ansicht des Gerichts daher nur in Schrittgeschwindigkeit, das heißt mit maximal sieben km/h, befahren und Personen wie das Kind nur dann passieren dürfen, wenn dieses gefahrlos möglich gewesen wäre.
Kein Mitverschulden
Der Beklagte wäre nötigenfalls dazu verpflichtet gewesen, anzuhalten und auf sich aufmerksam zu machen, um durch die Aufnahme eines Blickkontakts eine gefahrlose Vorbeifahrt zu ermöglichen. All das hat er versäumt.
Den Vorwurf des Beklagten, dass der Junge den Unfall zumindest mitverschuldet hat, hält das Gericht für unbegründet. Denn das Kind hat sich so verhalten, wie es für die Reinigung des Fahrzeugs in der dafür zur Verfügung stehenden Parkbucht üblicherweise erforderlich war. Die Bucht wurde somit bestimmungsgemäß genutzt.
Mit einem solchen Verhalten hätte der Beklagte rechnen müssen. Da er sich darauf ganz offenkundig nicht eingestellt hat, ist er nach Meinung des Gerichts allein für den Unfall verantwortlich. Der Wortlaut der ausführlichen Urteilsbegründung steht auf den Internetseiten des Gerichts zur Verfügung.
(Quelle VersicherungsJournal 07.08.2015)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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