09.11.2015
Psychotherapie – Rechtsstreit wegen langer Wartezeiten

Gesetzliche Krankenversicherte haben nur dann einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten durch einen nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychotherapeuten, wenn die Notwendigkeit einer Akutbehandlung besteht und ein zugelassener Therapeut nicht erreichbar ist. Das hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 24. Juli 2015 entschieden (S 72 KR 1702/15 ER PKH).
Wegen einer schwerwiegenden Depression benötigte der Antragsteller dringend eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung.
Ohne dies mit seinem gesetzlichen Krankenversicherer abzusprechen, begann er im Dezember 2014 eine Verhaltenstherapie bei einer Psychotherapeutin, die von der Krankenkasse nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war. Die Kasse lehnte daher eine Übernahme der Behandlungskosten ab.
Zu lange Wartezeiten
Der Antragsteller zog daraufhin vor Gericht. Dort wollte er seiner Krankenkasse im Rahmen des Erlasses eines Eilantrages dazu bewegen, die Kosten doch noch zu übernehmen.
Seinen Antrag begründete er damit, dass die Wartezeit auf einen Termin bei einem durch die Krankenkassen zugelassenen Therapeuten im Schnitt drei bis sechs Monate betrage. So lange habe er angesichts seiner schweren Depression unmöglich warten können.
Das Sozialgericht Berlin wies den Eilantrag trotz allem ab. Das begründete das Gericht damit, dass gesetzlich Krankenversicherte gemäß § 76 Absatz 1 SGB V grundsätzlich nur einen Anspruch auf psychotherapeutische Behandlungen durch zugelassene Leistungserbringer haben.
Die Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Psychotherapeuten komme daher nur dann in Betracht, wenn ein Versicherter auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zugelassener Leistungserbringer unter zumutbaren Bedingungen nicht erreichbar sei.
Fehlender Beweis
Das Gericht hielt es zwar für unbestritten, dass der Antragsteller dringend einer Behandlung bedurfte. Er konnte jedoch nicht nachweisen, dass die von ihm in Anspruch genommene Therapie eine Akutbehandlung darstellte.
Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestand seine Depression seit dem Jahr 2011. Die Behandlung begann jedoch erst im Dezember 2014. Der zweite Termin fand erst drei Monate später statt. Seitdem erfolgt lediglich eine Behandlung pro Monat.
Angesichts dieses Behandlungsverlaufs hielt es das Gericht für nicht erwiesen, dass die unbestrittene Wartezeit von bis zu sechs Monaten auf einen Termin bei einem durch die Krankenkassen zugelassenen Therapeuten dem Kläger nicht zugemutet werden konnte.
Im Übrigen hielt es das Gericht für nicht nachvollziehbar, warum der Kläger nach der ersten Sitzung nicht zumindest versucht hatte, einen Termin bei einem Therapeuten zu bekommen, dessen Kosten sein Krankenversicherer übernommen hätte. Denn der Versicherer hatte ihm nachweislich im Vorfeld mehrere Praxen und Terminvermittlungs-Stellen genannt.
Hintergrund
In einer Stellungnahme des Gerichts zu der Entscheidung heißt es: „Kassenpatienten müssen oft mehrere Monate auf eine Psychotherapie warten – zu lange, wenn bei einer schwerwiegenden Erkrankung dringender Behandlungsbedarf besteht. Wer in der Not ohne Absprache mit seiner Krankenkasse auf eine private Therapie ausweicht, läuft indes Gefahr, auf seinen Kosten sitzen zu bleiben.“
Eine deutliche Verbesserung der Situation von Kassenpatienten verspricht sich der Gesetzgeber von dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstärkungs-Gesetz), das am 23. Juli 2015 in seinen wesentlichen Teilen in Kraft getreten ist.
(Quelle VersicherungsJournal 04.08.2015)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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