Beruft sich ein Autofahrer darauf, dass für ihn ein Unfall mit einem betrunkenen Fußgänger unabwendbar war, so muss er beweisen können, dass er zum Zeitpunkt des Zusammenpralls die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten hat. Allein die Wahrscheinlichkeit eines verkehrsgerechten Verhaltens reicht hingegen nicht aus, so das Oberlandesgericht Naumburg in einem Urteil vom 30. Januar 2014 (1 U 81/13).
Der Kläger war mit seinem Hund spätabends im Randbereich eines Volksfestes unterwegs, als er und das Tier von einem vorbeifahrenden Taxi erfasst wurden. Bei dem Unfall wurde das Tier getötet und der Kläger erheblich verletzt.
Erhebliche Alkoholisierung
In seiner gegen den Halter des Taxis eingereichten Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage behauptete der Kläger, dass er am Rande der Straße gestanden habe, als er von dem mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Fahrzeug erfasst wurde.
Der Taxifahrer hingegen behauptete, dass der Unfall für ihn unabwendbar gewesen sei. Der Kläger habe nicht etwa am Straßenrand gestanden, sondern die Fahrbahn telefonierender Weise unvermittelt zielstrebig betreten.
Der Grund für die Unaufmerksamkeit des Klägers sei aber nicht nur das Telefonat, sondern auch dessen Alkoholisierung gewesen. Bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus habe man nämlich eine Blutalkohol-Konzentration von 2,8 Promille festgestellt.
Im Übrigen bestritt der Taxifahrer, zu schnell gefahren zu sein. Er sei zum Zeitpunkt des Unfalls in der Mitte der Fahrbahn mit der im Bereich des Festplatzes maximal erlaubten Geschwindigkeit von 40 km/h unterwegs gewesen.
Niederlage in erster Instanz
Das in der ersten Instanz mit der Sache befasste Landgericht wies die Klage in vollem Umfang ab. Die Richter gingen davon aus, dass der Kläger aus Unachtsamkeit quasi vor das Taxi gelaufen und damit allein für den Unfall verantwortlich war.
Unter den gegebenen Umständen trete auch die Betriebsgefahr des Taxis vollständig hinter dem Fehlverhalten des Klägers zurück.
Doch dem wollte sich das Naumburger Oberlandesgericht nicht anschließen. Es gab der Klage, wenn auch nur zu einem geringen Teil, statt.
Fehlender Beweis
Nach der Anhörung eines Sachverständigen gingen die Richter zwar ebenso wie die Vorinstanz davon aus, dass alles darauf hindeutet, dass der Kläger die Fahrbahn telefonierender Weise unvermittelt in betrunkenem Zustand betreten hat.
Der Sachverständige hielt es jedoch lediglich für wahrscheinlich, dass der Taxifahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometer eingehalten hat – ohne jedoch ausschließen zu können, dass sich der Unfall nicht auch bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h ereignet haben könnte.
Unter diesen Umständen ist es dem Beklagten nach Ansicht des Gerichts jedoch unmöglich nachzuweisen, dass der Unfall für ihn unabwendbar war. Denn das setzt zwingend voraus, dass er beweisen kann, die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten zu haben. Nur dann hätte er sich nämlich wie ein sogenannter „Idealfahrer“ verhalten.
Der Beklagte muss sich daher die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs anrechnen lassen, welche das Gericht mit 25 Prozent bewertete. Die Richter sahen keine Veranlassung, eine Revision gegen ihre Entscheidung zuzulassen. Das Urteil ist nach unseren Informationen inzwischen rechtskräftig.
Vergleichbarer Fall
Das Münchener Amtsgericht hatte sich in einer rechtskräftigen Entscheidung aus dem Jahr 2009 mit dem Fall eines Volksfestbesuchers zu befassen, der in angetrunkenem Zustand bei roter Ampel eine Fahrbahn überquert hatte und dabei von einem Motorrad erfasst wurde.
Das Münchener Gericht ging noch einen Schritt weiter, als das Oberlandesgericht Naumburg. Es stellte nämlich fest, dass Verkehrsteilnehmer im Bereich eines Volksfestes grundsätzlich mit betrunkenen Fußgängern zu rechnen und sich darauf einzustellen haben. Das Gericht ging daher von einem hälftigen Mitverschulden der Motorradfahrerin aus (VersicherungsJournal 15.9.2009).
(Quelle VersicherungsJournal 12.05.2015)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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