Wer in selbstmörderischer Absicht vor ein Fahrzeug springt, muss damit rechnen, dass dessen Fahrer einen psychischen Schaden erleidet. Sollte der Suizidant den Selbstmordversuch überleben, so ist er zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet. Das hat das Amtsgericht München mit einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Urteil vom 27. Juni 2014 entschieden (Az.: 122 C 4607/14).
Eine seinerzeit 23-jährige Münchnerin hatte Mitte Februar 2012 versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie sprang im Bereich einer Haltestelle vor eine einfahrende S-Bahn.
Nicht verantwortlich?
Wie durch ein Wunder überlebte sie den Selbstmordversuch. Durch das Ereignis erlitt jedoch die Führerin des Triebwagens einen erheblichen psychischen Schock. Sie war deswegen längere Zeit krankgeschrieben und leidet noch heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Dafür machte sie die verhinderte Selbstmörderin verantwortlich. Sie verklagte sie daher auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Die Suizidantin bestritt jedoch, für den Vorfall verantwortlich zu sein. Sie sei zwar vor die S-Bahn gesprungen. Weil sie zu diesem Zeitpunkt unter einer krankhaften Störung ihrer Geistestätigkeit gelitten habe, sei sie jedoch nicht zu einer freien Willensentscheidung in der Lage gewesen. Daher könne sie auch nicht für die Folgen des durch die Klägerin erlittenen Schocks zur Verantwortung gezogen werden.
Doch dem wollte sich das Münchner Amtsgericht nicht anschließen. Es gab der Schmerzensgeldklage der S-Bahn-Fahrerin statt.
Typische Reaktion
Nach Auffassung des Gerichts hat die Beklagte durch ihren Suizidversuch unstreitig einen Schock und damit eine Körperverletzung der Klägerin verursacht. Ein Schock sowie eine posttraumatische Belastungsstörung gehörten zu den typischen Reaktionen auf ein derartiges Ereignis.
Die Beklagte hätte folglich vorhersehen müssen, dass sie durch ihren Sprung vor die einfahrende S-Bahn derartige psychische Schäden auslösen werde.
Sie hätte sich nach Ansicht des Gerichts allenfalls dann entlasten können, wenn sie nachgewiesen hätte, dass sie zum Zeitpunkt des Zwischenfalls so stark erkrankt war, dass sie tatsächlich keinen freien Entschluss mehr fassen konnte. Einen derartigen Nachweis hat sie jedoch trotz eines entsprechenden Hinweises durch das Gericht nicht erbracht. Sie ist daher in vollem Umfang für die Folgen ihres Suizidversuchs verantwortlich.
Die Beklagte wurde zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.500 Euro an die Klägerin verurteilt. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
(Quelle VersicherungsJournal 27.04.2015)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de