Ist ein Behinderter auf ein Hilfsmittel angewiesen, so hat er dessen Ausfall abhängig von den Umständen des Einzelfalls in der Regel bis zu einer Obergrenze von zehn Tagen hinzunehmen. Das setzt allerdings voraus, dass ihm ein (wenn auch nicht gleichwertiger) Ersatz zur Verfügung steht, so das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 12. September 2012 (Az.: B 3 KR 15/11 R).
Der in einem Pflegeheim lebende schwerbehinderte Kläger war dauerhaft auf einen individuell angepassten Rollstuhl angewiesen. Seine Krankenkasse finanzierte ihm daher die Anschaffung eines sogenannten „Allround-Elektrorollstuhls“. Denn eine selbstständige Fortbewegung war ihm nur mit einem Elektrorollstuhl möglich.
Wochenlange Ausfallzeiten
Nachdem sich das Krankheitsbild des Klägers verschlechtert hatte, wurde ihm von der Kasse zwei Jahre später ein Spezial-Elektrorollstuhl mit Aufstehvorrichtung sowie einer Joystick-Steuerung zur Verfügung gestellt.
Neben diesen beiden Elektrorollstühlen stand dem Kläger zusätzlich ein von Hand betreibbarer herkömmlicher Rollstuhl zur Verfügung. Für dessen Nutzung war er jedoch auf eine Hilfsperson angewiesen. Dieser Rollstuhl wurde von dem Kläger daher nur für Aktivitäten genutzt, bei denen ein Elektrorollstuhl nicht mitgeführt werden konnte.
Weil der Spezial-Rollstuhl wegen verschiedener Defekte und damit verbundenen oft wochenlangen Ausfallzeiten nicht ständig nutzbar war, ließ der Kläger auch den ebenfalls defekten älteren Elektrorollstuhl reparieren, um für den Fall, dass sein neuerer Rollstuhl erneut den Geist aufgeben sollte, einen Ersatz zu haben.
Unwirtschaftlich
Mit dem Argument, dass die Reparatur des zweiten Rollstuhls unwirtschaftlich gewesen sei, war seine Krankenkasse allerdings nur dazu bereit, die Reparaturkosten für den neueren der beiden Elektrorollstühle zu übernehmen.
Der Kläger beharrte jedoch auf die Kostenübernahme für seine beiden Fortbewegungsmittel. Denn weil er in dem Pflegeheim eine geringfügige Beschäftigung angenommen habe, sei er grundsätzlich auf einen E-Rollstuhl angewiesen.
Unterschiedliche Rechtsauffassungen
Mit seiner beim Wiesbadener Sozialgericht gegen seine Krankenkasse eingereichten Klage hatte der Behinderte in der ersten Instanz Erfolg. Denn nach Meinung des Gerichts steht einem Behinderten immer dann eine Zweitversorgung zu, wenn seine Krankenkasse der Leistungspflicht für eine Erstversorgung nicht ausreichend nachgekommen ist.
Davon sei auszugehen, wenn die Reparatur eines Hilfsmittels wie im Fall des Klägers unverhältnismäßig lange dauere und die Krankenkasse nicht für einen vorübergehenden adäquaten Ausgleich sorge.
Das von der Krankenkasse in Berufung angerufene Hessische Landessozialgericht war anderer Meinung. Es hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage als unbegründet zurück. Denn dadurch, dass der Kläger zusätzlich über einen von Hand betriebenen herkömmlichen Rollstuhl verfügt, sei seine Mobilität ausreichend gesichert.
Er könne diesen Rollstuhl zwar nicht selber bewegen. Als Patient eines Pflegeheims mit der Pflegestufe III habe er jedoch einen Anspruch auf die Hilfe durch eine Hilfsperson, so dass es nur zu geringen Einschränkungen kommen könne. Die Krankenkasse hätte allenfalls bei Ausfällen von mehr als vier bis sechs Wochen für einen adäquaten Ausgleich sorgen müssen.
Sieg in letzter Instanz
Doch dem wollte das in letzter Instanz angerufene Bundessozialgericht nicht folgen. Es gab der Revision des Klägers gegen die Entscheidung der Vorinstanz statt.
Nach Ansicht der Richter obliegt es zwar grundsätzlich einer Krankenkasse zu entscheiden, wie sie Ausfallzeiten bei der Reparatur eines notwendigen Hilfsmittels überbrücken will. Das heißt aber nicht, dass während Ausfallzeiten nicht grundsätzlich ein Anspruch auf ausreichende und zweckmäßige Versorgung besteht.
„Dies gilt umso mehr, wenn ein Versicherter trotz seiner erheblichen Behinderung aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt und sogar wie in dem entschiedenen Fall in bestimmtem Maße einer Erwerbstätigkeit nachgeht“, so das Gericht.
Nach zehn Tagen ist Schluss
Gleichwohl hat ein Behinderter den Ausfall eines Hilfsmittels in geringem Maße hinzunehmen. Dabei gingen die Richter, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, von einer Obergrenze von bis zu zehn Tagen aus.
Voraussetzung ist allerdings, dass ein Ausgleich vorhanden ist, wovon im Fall des Klägers wegen des Schieberollstuhls und der Möglichkeit, diesen von Bediensteten des Wohnheims bedienen zu lassen, auszugehen war.
Wegen des wiederholt wochenlangen Ausfalls des neueren Elektrorollstuhls durfte der Kläger jedoch nicht auf diese Möglichkeit verwiesen werden. Denn wegen der langen Ausfallzeiten ist seine Krankenkasse ihrer Verpflichtung zu einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung des Klägers nicht nachgekommen. Er durfte daher auch den älteren E-Rollstuhl auf Kosten der Kasse reparieren lassen.
(Quelle VersicherungsJournal 17.10.2012)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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